Mittwoch, 30. September 2015
Das Ringen um das Unbekannte
Christa Anderski

Ort: Mayersche Buchhandlung

Ich betrete das Weltreich der Bücher. Tausend, abertausende Bücher kreuzen meinen Weg. Sie rufen und locken mich. Ich will ihnen nicht folgen, denn heute bin ich auf der Suche nach dem Unbekannten. Meine Schritte führen mich vorbei an den Regalen, die mit Architektur, Medizin und Reisen beschriftet sind. Auch Romane und Krimis lasse ich links liegen. Vieles ist mir dort bekannt. Ich gehe weiter. Plötzlich taucht vor mir ein großes Regal auf, von dessen roter Aufschrift mir sehr viel Fremdes entgegenweht. Die Buchstaben künden von Bank – Börse und Aktien. Ich verspüre den Hauch des Unbekannten. Noch nie habe ich ein Buch aus dieser Sparte aufgeschlagen.

Ich bleibe stehen und tauche ein in das gänzlich Unbekannte. Sofort springt mir der Titel eines Buches in die Augen: „Der Wolf in der Wall Street“. Ja, das ist es! Er bestätigt mich in meinem Vorurteil. Bank und Börse sind ein grausames Geschäft. Wer schwach ist, wird von den Starken zerrissen. Man geht über Leichen, um das einzige Ziel, den Reichtum, zu erreichen.
Der zweite Buchtitel, den ich erblicke, stärkt mich in dieser Einstellung. „Schnelles Geld, wie man einfach reich werden kann.“ Meine Gedanken driften zur aktuellen Tageskrise. VW betrügt Behörden und Menschen, nur um seinen Gewinn zu maximieren. Ehrlichkeit und Moral bleiben auf der Strecke.
Ich atme tief durch und nehme ein anderes Buch in die Hand. „Die Kunst über Geld nachzudenken“. Vielleicht kann es mir die fremde Lebenseinstellung näherbringen. Der Autor, ein „Börsenguru“, will in diesem Buch der Faszination des Geldes nachspüren. Er schreibt: „So mancher Spekulant verliebt sich so sehr in die Börse, dass er für nichts anderes mehr einen Sinn hat.“ Ja, genau, das ist das, was ich so verabscheue! Ich lese weiter: „Die Betroffenen sind zu bedauern; wie eintönig ist das Leben ohne den Genuss an Essen, Trinken, schönen Frauen und natürlich der Musik“. Unmut überkommt mich, das soll der Lebenssinn eines Menschen sein? Das ist mir zu wenig!
Es wirkt auf mich wie ein Leben mit Scheuklappen, alles wird aus dem Leben ausgesperrt bis auf das Ziel: Geld anhäufen. Das ist für mich ein leeres, kaltes Leben, das allein mit Zahlen und der Jagd nach Reichtum ausgefüllt ist.
Ich lese trotzdem weiter und finde mich bald in dem Dickicht von Geboten und Verboten, von Insider-Tipps und Börsen Crashs nicht mehr zurecht. Die Faszination, der der Autor dabei empfindet, springt nicht auf mich über.
Entnervt nehme ich das nächste Buch zur Hand: „So denken Millionäre.“ Vielleicht finde ich durch dieses Buch endlich einen Weg zum besseren Verständnis dieser Welt. Zwar lässt mich der Untertitel: „Die Beziehung zwischen Ihrem Kopf und Ihrem Kontostand“ ein wenig daran zweifeln, ebenso der Satz: „Glauben Sie kein Wort von dem, was ich sage!“
Nichtsdestotrotz lese ich weiter und stoße auf den Satz: „Meine innere Welt erschafft meine äußere Welt. Fassen Sie sich nun an den Kopf und sagen Sie: „Ich denke wie ein Millionär.“

Aber damit ist noch nicht getan. Der Autor führt aus, dass persönliche Verhaltensmuster bezüglich Geld und Erfolg schon in der Kindheit falsch programmiert werden. Deshalb muss man folgenden Satz laut sprechen: „Nimm eine neue Denkstruktur an, eine die dein Glück und deinen Erfolg unterstützt“.
Wut steigt in mir auf. Jetzt werden schon psychologische Denkansätze und psychologische Methoden angewandt, um sie dem einzigen Ziel „Reichtum“ unterzuordnen.
Doch die nächste Deklaration setzt dem Ganzen die Krone auf. „Legen Sie die rechte Hand auf Ihr Herz und sagen Sie: „Mein Geld arbeit hart für mich und verdient mehr und mehr Geld für mich!“
Entrüstung lässt mich das Buch mit einem wilden Schlag zuklappen. Es reicht! Dieses Thema ist so weit von meiner Lebensauffassung und meinem Lebenssinn entfernt, ich will und kann keine Brücke zu ihm bauen!!! Ich stelle die Bücher zurück.
Aufatmend flüchte ich in den Bereich der Kunst und atme endlich Freiheit, Vielschichtigkeit und Menschsein ein.