Anders sein
Von Christa Anderski
Anders sein; mich diesem Thema zu nähern, ruft sofort Traurigkeit und tiefes Berührtsein hervor. Ich weiß noch nicht, warum, aber ich spüre, dass ich dem Thema ausweichen möchte. Angst steigt auf. Angst vor Schmerz, vor Verletzungen?
Ich steige auf den Berg der Vernunft und blicke um mich. Wo in meinem Leben bin ich dem Gefühl des Anders-Sein schon einmal begegnet?
Viele Situationen strömen aus meiner Erinnerung hervor und melden sich: die Flucht meiner Mutter und ihr Bemühen in einer fremden, vom Krieg zerstörten Stadt ein neues Leben aufzubauen. Mein Fremd-Sein in einem Heim, in dem ich 5-6 Jahre meines jungen Lebens untergebracht war. Die vielen Schulwechsel und Umzüge in meinem späteren Leben. An die dreißig Mal musste ich meine gewachsenen Wurzeln herausreißen, mich trennen von Altem, Bewährten und von Beziehungen und versuchen, in Fremdem neue Wurzeln zu schlagen.
Besonders bewusst wurde mir dies bei meiner Auswanderung nach Südamerika. Ich kam von einem Tag auf den anderen in einen anderen Kulturkreis mit mir fremden Lebenswerten, Sprachen und Lebenseinstellungen. Sie waren so ganz anders als die, die ich bisher kennengelernt habe. Ich musste mich mit ihnen und mit meinen Wurzeln auseinandersetzen. Noch nie in meinem Leben hatte ich es in der Abgrenzung zu dem Fremden so deutlich gespürt, wie stark ich durch mein Heimatland geprägt worden war. Nie mehr in meinem Leben war es mir so wichtig, deutsche Wurzeln in fremden Boden einzugraben. Ich brauchte sie als sichere Verankerung, um mich dem Neuen stellen zu können.
Eine weiteres starkes Fremd-Sein erlebte ich als Städterin bei einem Umzug in ein 200-Seelen Dorf. Wie viele dörfliche Regeln und wie viele eingefahrene Spuren dörflichen Denkens waren mir nicht bekannt. Wie oft habe ich mir den Kopf an den traditionellen, lang gewachsenen Einstellungen und Verhaltensweisen des Dorfes gestoßen.
Und wie oft haben die Dörfler mich das Fremd-Sein spüren lassen und das Anders-Sein für bedrohlich empfunden und bekämpft. Schon ein Mensch aus dem Nachbardorf, das 3 km entfernt lag, war für sie ein „Fremder“. Um so mehr galt das für mich, der ich aus einer weit entfernten Großstadt kam! Eine Toleranz gegenüber dem Fremden war trotz meiner Bemühungen um dörfliche Gemeinschaft nicht zu erreichen.
Weiterhin fallen mir eine Vielzahl von Situationen ein, die mir das Gefühl des Anders-Sein durch meine Persönlichkeit eingebracht hatten.
Meine Interessen, meine Einstellungen, die sich von denen der anderen Jugendlichen unterschieden, riefen oft dieses Gefühl hervor. Eine Zerrissenheit quälte mich damals. Einerseits wollte ich dazu gehören, andererseits aber kämpften meine Ansichten und Eigenarten um ihre berechtigte Existenz. Beides unter einen Hut zu bekommen, war oft nicht möglich.
Es wäre sicher interessant und hilfreich zu analysieren, was dieses häufige Auseinandersetzen mit dem Fremd-Sein für Stärken bei mir hervorgerufen hat.
Vielleicht rührt daher, dass ich kaum Angst vor Veränderungen habe. Auch eine gewisse Flexibilität, Offen- und Aufgeschlossenheit neuartigen Situationen gegenüber bemerke ich an mir, gegründet auf einer Kontinuität in mir selbst, .....
Anders-sein erzeugt Dynamik, Bewegung und Lebendigkeit im eigenen und im Leben des Anderen. Nur in totalitären Gemeinschaften birgt das Anders-sein Gefahr für das eigene Leben.
erny hildebrand am 20. Oktober 15
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