Gedanken zu Harald Naegeli
Geschrieben im Düsseldorfer Stadtmuseum

Schon die Nennung des Namens "Harald Naegeli" verursacht in mir eine Zeitreise an das Ende der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts.
1977 ist das Jahr, in dem meine dritte Tochter geboren wurde. Ich war 28 Jahre alt, studierte im 6. Semester Zahnmedizin und war vollauf damit beschäftigt, Studium und Familie unter einen Hut zu bringen. Die Jahre, in denen ich politisch wirklich aktiv war, lagen zwar hinter mir, aber immer noch hörten wir zuhause Degenhardt und Süverkrüp. Wir waren gegen alte Nazis, verkrustete Strukturen, gegen überkommene Moralvorstellungen, gingen zu Demos und wollten unseren Beitrag leisten, die Welt zu verbessern. Wir wohnten in Abbruchhäusern zusammen mit Aussteigern, Hare Krishnan Mitgliedern, Linken, Lesben, Schwulen, kurz mit allen, vor denen unsere Eltern uns gewarnt hatten. Wir lasen Grass, verehrten Beuys, der sich mit seinen Studenten an Bäume des Grafenberger Waldes gekettet hatte, um die Erweiterung des Rochusclubs weiter in den Wald hinein zu verhindern. Unsere Kinder waren in einem sogenannten Kinderladen, in dem es das Konzept einer repressionsarmen Erziehung gab, wir lasen die Pardon und Konkret. Natürlich waren uns Künstler wie Staek und Naegeli ein Begriff.
Über die Graffiti Bilder Naegelis waren wir durchaus geteilter Meinung. Während mein Mann es übergriffig empfand, öffentliches oder privates Eigentum zu beschmieren, war ich eher begeistert von dieser Art von Kunst. Wir stritten über unsere unterschiedlichen Ansichten zu Eigentum, wobei ich noch von der eher linkspolitischen Szene geprägt war, in der ich mich in meinem ersten Studentenleben bewegt hatte."Stell Dir vor, es sei Dein Haus", meinte er. "Mich würde es gar nicht stören, solange es gut ist", konterte ich. Schließlich gab es eine große Szene von Häusermalern. Auch die zum Abriss vorgesehenen Häuser, in denen wir wohnten waren großflächig mit Gemälden und Graffitis versehen. Eine schöne Auflockerung der sonst so tristen Grafenberger Allee.
Durch das Studium der Zahnmedizin kam ich mehr und mehr mit konservativen Gedanken in Berührung. Bei den Professoren galten die Tugenden von Sauberkeit, Ordnung und Pünktlichkeit, was in diesem Fach nicht falsch ist. "Unsere Studenten haben keine Zeit auf Demonstrationen zu gehen", hieß es damals. Meine Kommilitonen unterschieden sich beträchtlich von denen aus meiner "germanistischen" Studienzeit. Ich vermied politische Themen, galt ich sowieso als bunter Vogel, weil ich Mutter dreier Kinder war. "Du solltest Dich lieber um Deine Kinder und den Haushalt kümmern, statt jemandem den Studienplatz wegzunehmen", bekam ich unter anderem zu hören. Daher war und ist es bis heute noch befreiend und erfrischend für mich, ab und zu eine gewisse Anarchie zu entdecken. Etwas, das die allzu selbstzufriedenen aus ihrer Lethargie und Alltäglichkeit aufschreckt.

Ingrid Denzel