Sonntag, 7. April 2019
Männer!
Mordillo
Mordillo (https://cdn03.plentymarkets.com/cfugbtln6xm7/item/images/98823/middle/0103-7350210.jpg)

Gestern war ich mit meiner Männerriege bei mir zu Hause. Wir wollten zum letzten Mal unsere Männerpyramide trainieren, bevor wir sie am Sonntag beim Wettbewerb der hiesigen Turnvereine vorführen würden. Zum Aufwärmen tranken wir ein bisschen Bier. Dann sollte es losgehen mit dem Training. Aber Oskar, unser Untermann, war nicht im Wohnzimmer. „Oskar!“: schrien wir durch die Wohnung. „Oskar, komm, wir brauchen dich!“ Kein Oskar ließ sich blicken. „Oskar, beeil dich, wir wollen anfangen!“ Nichts rührte sich. Wir schauten uns befremdet an. Plötzlich schlug sich Theobald vor die Stirn. „Oh nein! Oskar liegt doch mit Grippe im Bett, er hatte mich doch noch kurz vor unserem Treffen angerufen!“
Da war guter Rat teuer, denn ohne Oskar ging nichts. Einige von uns fielen lautstark über Theo her, andere wollten ihre Verzweiflung im Bier ertränken. In dieses Chaos ertönte der Ruf meiner Frau aus der Küche: „Wann seid ihr fertig? Soll ich schon das Essen auf den Herd stellen?“
In dem Augenblick durchzuckte mich eine Erleuchtung. Meine Frau! Das war die Lösung! Sie stemmte so vieles, da wird sie uns doch auch noch stemmen können! Ich winkte meinen Leuten und wir düsten in die Küche. „Emma, wir bauen unsere Pyramide bei dir in der Küche auf. Emma, du musst uns eben mal helfen! Du brauchst uns nur mal kurz zu stemmen. Das bisschen Haushalt kannst du ja nebenbei machen.“
Meine Frau streckte wortlos ihren rechten Arm aus und wir elf Mann kletterten an ihr hoch und bildeten unsere Formationen. Es klappte vorzüglich, bis mein Kleiner, der in der Küche im Kinderwagen lag, anfing zu schreien. Es war nicht zum Aushalten! Meine drei oberen Mannen begannen zu schwanken. „Emma, sorge sofort dafür, dass der Kleine still ist!“ schrie ich wütend meiner Frau zu. Ohne ein Wort hob sie, weiter bügelnd, ihr rechtes Bein und schaukelte damit den Kinderwagen. Mein Kleiner beruhigte sich. Nun schaffte ich es, auf die Spitze der Pyramide zu klettern. Dort entrollte ich die rote Fahne mit dem weißen Herz. Ich winkte meiner Frau zu und stimmte unser Lied an: „Wir Männer sind die besten und stärksten Wesen auf der ganzen Welt!“ Wir sangen aus vollster Kehle und mit tiefster Inbrunst.
Meine Frau fing an zu zittern. Wir kamen ins Schwanken. Theobald, der als erster zu Boden fiel, rief fassungslos: „Ich glaube, deine Frau lacht!“

Christa Anderski



Freitag, 5. April 2019
Auf der Kö in Düsseldorf
Ein Vetter von mir kam erst 1949 im November aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück.
In seine Heimat Ostpreußen konnte er nicht mehr, so kam er nach Düsseldorf. Wir waren für viele Verwandte ein fester Punkt nach dem Krieg. Georg bekam sehr schnell eine Arbeit beim statistischen Landesamt. Im Anschluss bekam er eine Anstellung bei der Eisenbahnversicherungskasse. Georg besaß schon Mitte der 50iger Jahre einen viertürigen Mercedes.
Einmal waren wir zusammen mit noch einem anderen Ehepaar in der Altstadt gewesen, wir feierten fröhlich und tranken auch einiges. Mein Mann fuhr das Auto. Statt am Ende nach Hause zu fahren, sagte Georg: „Wir fahren jetzt noch zur Kö-West. Da kenn ich eine frühere Kollegin, die gehen wir jetzt ärgern.“
An der Kö-West standen die sogenannten Bordsteinschwalben in Grüppchen. Georg ließ anhalten, drehte eine Scheibe herunter und rief: „Alle herkommen und Geld abliefern!“
Dann platzierte er eine Frau neben sich auf den Beifahrersitz neben sich. Zwei Prostituierte auf den Schoß des anderen Ehemannes. Wir saßen zu sechst auf der Rückbank. Wir fuhren eine ganze Weile die Kö rauf und runter, immer im Karree. Die Fenster im Auto waren inzwischen alle offen. Die Prostituierten im Wagen beschimpften ihre Kolleginnen, die dort standen, auf das Übelste, wie sie es oft von den Männern ertragen mussten. Wenn ich die Bordsteinschwalben woanders gesehen hätte, wäre mir nicht aufgefallen, welchen Beruf sie gehabt hätten. Sie redeten von den intimsten Sachen ihres Geschäftes, als ob es sich um z.B. Apfelsinenhandel drehte. Wir haben so gelacht, dass uns die Gesichtsmuskeln weh taten. Für deren Geschäft war es noch zu früh. Da stand eine elegant gekleidete Dame in hellblauem Kostüm mit einer hellblonden Hochsteckfrisur. Eine Frau aus unserem Auto rief: „ Die hat alle unsere Freier mit Tripper angesteckt.“ Die Brünette neben Georg erzählte, sie habe ein Kind geboren und habe noch Wochenfluss. Jetzt könne sie nur „französisch“. Eine sehr junge Frau von der Rückbank wiederholte dauernd, sie gäbe eine Flasche Sekt aus, wenn sie Georg mal vernaschen könnte.
Das Ganze war so irre für mich!


Ingrid Basile



Freitag, 13. Juli 2018
Auf der Bühne des Lebens
Spot an!
Plötzlich und unverhofft liege ich im grellen Licht des Lebens. Gerade noch im engen und dunklen Kanal strömt nun alles auf mich ein, ungedämpft und ungefiltert.
Mit aller Macht bedrängt es mich: Licht, Lärm, Kälte, Wärme, Berührungen. Ich schreie auf vor der Intensität des mich überflutenden Lebens. Mein Herz schlägt wie wild.
Ich spüre Hände auf meinem Körper, Tücher umhüllen mich. Ich schreie. Man legt mich ab. Vertrautes durchdringt mich. Geruch, Weichheit und Stimme meiner Mutter besänftigen die beängstigenden Wirbelstürme und schenken mir Frieden. Ich bin geboren.

Viele Auftritte auf der Bühne des Lebens liegen nun hinter mir. Auftritte in eigener oder fremder Regie, gelungene und misslungene Projekte, unbedeutende und bedeutsame Stücke.

Spot aus!
Nun liege ich still und ersehne meinen letzten Auftritt. Nicht ich werde Regie führen, sondern ich werde mich führen lassen. Ein kleines, vertrautes Publikum wird mich begleiten. Erlösung und Frieden werden mich umhüllen. Am Ende der Aufführung erstrahlt ein sanftes Licht und in seinem Schein werde ich atemlos hinüber gleiten in ein anderes, ein neues Leben.

Christa Anderski



Donnerstag, 12. Juli 2018
Die Dame, die nicht sterben will
Die Dame, die nicht sterben will

Die Dame saß im Park auf einer Bank. Ihr Haar wehte ihr vor die Augen, sie streckte ihr Gesicht der Sonne entgegen. Sie genoss die Wärme, die sich in ihrem Gesicht ausbreitete. Ein Mann kam auf sie zu und blieb vor ihr stehen.
Er sprach: „Sehr verehrte Dame, ich bin der Tod und ihr müsst jetzt mit mir kommen.“
Die Dame öffnete ihre Augen und sah einen großgewachsenen, hageren Mann. Seine blasse Haut wurde durch die schwarze Kleidung betont.
„Das ihr der Tod seid, das glaube ich euch gerne“, sagte die Dame. „Aber wieso soll ich mit euch kommen?“
„Weil ich der Tod bin. Mir entkommt niemand. Ich komme, wenn eure Zeit abgelaufen ist und bringe euch ins Totenreich.“
„Da müsst ihr euch vertan haben“, entgegnete die Dame. Ich bin erst 47 Jahre alt und stehe bestimmt nicht auf eurer Liste.“
Der Tod holte ein Pergament aus seiner Manteltasche und rollte es auf. Er begann zu lesen: „Schlosspark, Dame auf Parkbank. Alter 47, Haare blond, Frisur Bop, Kleidung modisch, Charakter gibt gerne Widerworte.
Die Dame blickte dem Tod in die Augen und sagte: „Das bin ich nicht. Geht, und sucht die richtige Person.“
Doch der Tod ließ sich nicht beirren. „Doch verehrte Dame, ihr seid es. Schaut euch um, außer euch ist niemand hier.“
„Also, das ist kein Argument. Und außerdem habe ich keine Zeit. Ich habe noch diverse Dinge zu erledigen.“
Der Tod war genervt. Jedes mal das gleiche. Kam er zu einer Person um sie zu holen, hatte diese vielerlei Ausreden. Plötzlich hörte er, wie er die Dame fragte: „So, was denn?“
Überrascht über diese Frage und hektisch in ihren Gedanken forschend stammelte diese: „Ähm, also, ich will einen Marathon laufen, alle 8.000 besteigen, ein Buch schreiben, und ich will ins Weltall fliegen.“
„Und warum habt ihr das noch nicht getan?“, wollte der Tod wissen.
„Ihr wisst doch, wie das ist. Erst die Schule, dann die Ausbildung, Arbeiten, Kinder kriegen, Kinder groß ziehen, Haushalt, sich um die Eltern kümmern. Kurz gesagt, keine Zeit. Die Dame schaute auf den Boden, wusste sie doch, dass das nicht die ganze Wahrheit war.
„Okay“, sagte der Tod und zuckte kaum merklich erschrocken über seine Antwort. Sucht euch eine Sache aus.
Überrascht sah die Dame ihn an.
„Für eine Sache gewähre ich euch Zeit. Welche soll es sein?“, fragte der Tod.
Die Dame überlegte. Mit welcher Sache konnte sie die meiste Zeit gewinnen. Ins Weltall fliegen schied aus, das konnte sie schon morgen. Und alle 8.000 zu besteigen würde auf jeden Fall länger brauchen, als einen Marathon zu laufen. Blieb noch das Buch schreiben. Schließlich sagte sie: „Ich will ein Buch schreiben.“
Dies sei euch gewährt. Doch bedenkt, ich komme immer wieder vorbei und prüfe euren Fortschritt. Bin ich mit eurer Arbeit nicht zufrieden, nehme ich euch mit.



Auf der Bühne
Alle schauen mich an.
Was soll ich tun?

Alle schauen mich an.
Ich habe keine Worte mehr.

Alle schauen mich an.
Ich schäme mich.

Alle schauen mich an.
Ich schreie laut.

Alle schauen mich an.
Ich verbeuge mich.


Erny Hildebrand



Dienstag, 10. Juli 2018
Schreiben auf der Bühne


Ich schaue dich an
auf deiner Bühne,
distanziert, skeptisch, erstaunt
und weiß,
diese, deine Rolle
möchte ich nicht haben.

Du schaust mich an,
fordernd, klagend, stumm.
Schon wieder habe ich
den Text vergessen,
den du von mir erwartest.

Wie, frage ich mich,
kann es uns gelingen,
das Stück umzuschreiben?

Erny Hildebrand



Sonntag, 1. April 2018
Ein magisch-kryptischer Ort
Artikelbild Krypta

Aus den schwarzen Tiefen eines Kellers erhebt sich das Firmament. Abertausend Sterne funkeln dir entgegen. Du atmest Weite, du, ein winziger Punkt in der Unendlichkeit des Weltalls.
Plötzlich gleißendes Licht. Sonne erstrahlt. Sie umarmt dich siebenringig mit ihrer leuchtenden Kraft. Ihre Mächtigkeit erfüllt den Raum. Sie spiegelt sich in den dunklen Wassern der Erde und breitet sich aus über die Kontinente der Welt.
Aus dem Auge der Dreifaltigkeit strömt der Heilige Geist in die Sonne und vermählt sich mit ihr.
Sphärische Klänge umspielen die goldenen Engel, die das blaue Christenkreuz verbergen.
Zeit und Raum heben sich auf und verkündigen die Ewigkeit. Die Ewigkeit des Seins, die dich versöhnt mit deinem kurzen menschlichen Leben.
Du, ein einziger Wimpernschlag der Ewigkeit, bist geborgen in der Allmacht des Seins, in der Unendlichkeit des Alls und in der Einheit der Wesenheit.

Christa Anderski



Mittwoch, 28. März 2018
In einer Krypta
Mit der Schreibgruppe "Schreiben an ungewöhnlichen Orten" haben wir die Krypta in der Düsseldorfer Musikhochschule besucht. Der folgende Text enthält einen ersten Eindruck davon.

Kryptisch! Wir sehen überall Geheimnisse
Und wollen alles erklären.
Es ist, wie es ist!
Es ist, was es ist!
Und dann wollen wir glauben.

Einer, der meint, er habe die Welt verstanden.
Hat er gar keine Zweifel?
Zweifellos kann ich nicht sein.
Musik ist Harmonie -
aber was wäre sie ohne Disharmonien?

Der das Geld gibt
gibt das Bild vor
das Kreuz wie ein Schwert
das schon so viel Leid auslöste
versteckt
hinter Türen aus Gold
bewacht von Engeln aus Goldwasser

Musikstudenten nutzen die Krypta nicht.
Wie sehen ihre Andachtsräume aus?
Hätte man sie vorher fragen sollen?

Erny Hildebrand



Mittwoch, 14. Februar 2018
Schreiben an ungwöhnlichen Orten
Neue Termine für Schreiben an ungewöhnlichen Orten:

Jeweils Montags nachmittags:

05. März
o7. Mai
02. Juli
03. September
05. November

Uhrzeit wird Treffpunkt wird kurzfristig bekannt gegeben.

Weitere Infos und Anmeldung unter
hildebrand.freiraum@t-online.de
Tel.: 0211 / 239 71 00



Sonntag, 25. Juni 2017
Tanz auf dem Seil der Wahrheit
Christa Anderski

Menschen sitzen erwartungsvoll am Rande eines Raumes. Sie schauen unruhig auf die Bühne, auf der sich das Spektakel ereignen wird. Drei schwarze Tische heben sich bedrohlich vom hellen Parkettboden und den weißen Wänden ab. Hinter jedem der Tische sitzt ein Mensch in schwarzem Gewand. Ein Hauch von Ernst und Gewichtigkeit ist zu spüren. Die schwarze Gestalt, die als Vorsitzende der Jury über den anderen thront, beginnt mit ihren Worten das Seil der Wahrheit quer durch den Raum zu spannen.
„Sie sind als Zeuge geladen. Als Zeuge sind Sie der Wahrheit verpflichtet. Sie müssen die Wahrheit sagen. Lassen Sie nichts weg und sagen Sie nichts Ausgedachtes. Wenn Sie lügen, machen Sie sich strafbar.“
Das Seil wird nachgespannt. „Sollten Ihre Aussagen vereidigt werden und Sie haben eine falsche Aussage getätigt, dann drohen Ihnen Geld- oder Haftstrafen.“
Dann ist es soweit. Der erste Seiltänzer betritt die Bühne. Es ist ein großer Mann, dessen leichte Nervosität sich nur an fahrigen Bewegungen seiner Füße erkennen lässt. Er steigt auf das Seil. Schnell hat er sich ausgependelt und geht sicher, von Fragen geleitet, darüber. Ohne Stocken und ohne Wankelmut erreicht er, unbeeindruckt von leichten Wortböen, sein Ziel.
Erleichterung spiegelt sich in seinem Gesicht, als er wieder festen Boden betritt.

Nach kurzer Beratung wird der zweite Seiltänzer auf die Bühne gebeten. Es ist ein junger Mensch. Es ist sein erster Auftritt. Er gibt sich sicher und gelassen. Doch schon von Anfang an bläst ihm ein schärferer Wind entgegen, als er das Seil betritt. Trotzdem ist sein Schritt noch fest. Da zieht ein Gewitter sich über ihm zusammen. Er spürt die Gefahr, denn das Seil der Wahrheit beginnt heftig zu schwanken. Angst steigt in ihm auf. Der junge Seiltänzer biegt seinen Oberkörper vor und zurück, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Sein Schritt wird immer zögerlicher. Hilfesuchend wirft er einen Blick auf seinen Betreuer und spürt auch bei diesem Unsicherheit. Dennoch wird ihm von dort schnell eine Balancestange gereicht. Befreit greift der Junge sie auf. „Ich kann mich nicht mehr genau erinnern.“ Mit diesen Worten eilt er vorwärts und rettet er sich zum Seilende, ohne in den Abgrund der Lüge zu stürzen. Mit angespanntem und bleichem Gesicht setzt er sich neben den ersten Seiltänzer.

Die Vorsitzende der Jury ruft den dritten Bewerber auf. Eine junge Frau tritt hervor. Ihr rotschwarzes Kostüm flackert auf in der aufgeladenen Atmosphäre. Sie spürt Bedrohlichkeit, doch ihr Lächeln strebt, diese zu verscheuchen. Mit Anmut klettert sie auf das Seil der Wahrheit. Ihre ersten Schritte sind graziös. Doch dann zuckt ein greller Blitz, unmittelbar gefolgt von einem Donnerschlag, durch den Raum. Sturmböen setzen ein und setzen das Seil in Schwingungen. Erschreckt schreit die Seiltänzerin auf. Die ihr zugeworfene Balancestange gleitet durch ihre Finger und zersplittert auf dem Boden. Mit letzter Kraft versucht die junge Frau das Gleichgewicht zu halten. Da rutscht ihr rechter Fuß ab und sie stürzt in den Abgrund der Lüge.
„ Die Akte geht zur Staatsanwaltschaft wegen Betrugs im Prozessverfahren.“



Montag, 8. Mai 2017
Unterschlupf
Unterschlupf

Es ist eine milde Nacht. Die alte Standuhr schlägt zwölf Uhr. Felix und einige seiner Freunde sitzen gemütlich im Kerzenschein beisammen und lauschen alten Geschichten. Felix Stimme erhebt sich aus dem Dunkel. „Heute möchte ich euch von meinen Urgroßeltern erzählen. Ihr wisst, dass unsere Familie schon lange mit dem Schauspielhaus verbunden ist. Es heißt bei uns, dass meine Urgroßeltern die ersten waren, die den Zugang zum Theater fanden und sich immer wieder aufs Neue dafür begeisterten. Heute Nacht will ich euch berichten, wie es dazu gekommen ist.“ Felix blickt sich um und sieht im Mondenschein die Augen seiner Freunde aufmerksam auf sich ruhen. So fährt er fort:
„ Es war spät in der Nacht. Ein Unwetter tobte durch die Straßen der Stadt. Grelle Blitze und ohrenbetäubender Donner wechselten einander ab, Regen peitschte auf das Pflaster. Das Gewitter hatte meine Urgroßeltern und ihre 4 Kinder überrascht und sie bis auf die Haut durchnässt. Thea, meine Urgroßmutter, zitterte vor Kälte und Angst. Leo, der mein Urgroßvater war, drängte zur Eile. In ihrer großen Not sahen sie plötzlich eine Tür vor sich, die im Sturm hin und her schlug. Wie der Blitz schlüpften meine Urgroßeltern und die Kinder durch diese Tür in ein Gebäude. Gerettet! Sie schüttelten, so gut es ging, die Nässe ab. Nach einer kurzen Atempause begannen sie ihre Umgebung zu erforschen. Sie entdeckten eine Menge Räume im Gebäude, in denen sich eine Unzahl von verschiedenartigen Dingen befand, doch nirgendwo fanden sie jemanden, den sie fragen konnten, wo sie die Nacht über bleiben konnten. So machten sie sich selbst auf die Suche. Blitze erhellten kurzzeitig die Dunkelheit, so dass sie sich ein wenig orientieren konnten. Nach einigen Minuten kamen meine Urgroßeltern in ein Zimmer, in dem es staubig und muffig roch. Ein Blitz ließ sie erkennen, dass sie in einem Raum standen, in dem es vor alten Möbeln nur so wimmelte. Während Leo sich noch darüber wunderte, stieß Thea plötzlich einen Jubelschrei aus: „ Leo, schau nur, was ich gefunden habe!“ Sie stand vor einem Sofa. Ihre Augen strahlten. „Es ist groß und weich. Hier können wir es uns gemütlich machen. Von einem solchen Sofa habe ich schon immer geträumt!“ Leo wusste, dass wenn seine Frau so begeistert von einer Sache war, dann ließ sie sich nicht mehr von ihrer Meinung abbringen. Es war besser, keinen Widerspruch einzulegen. Also schaute er sich das Sofa gottergeben an.
Vor ihm erhob sich ein großes Sofa, das mit grünem Plüschsamt bezogen war und auf dem viele weiche Kissen lagen. Man sah ihm an, dass es schon einige Jahre auf dem Buckel hatte. Mein Urgroßvater schaute unter das Sofa und entdeckte einige Sprungfedern und Löcher in der Polsterung. „Na ja“, murmelte er vor sich hin, „hier könnten wir schlafen.“ Er begann die Löcher zu vertiefen, als er erneut durch einen spitzen Schrei seiner Frau aufgeschreckt wurde. Er blickte auf und sah im Schein eines Blitzes, dass Thea und seine Kinder eine große blonde Perücke hinter sich herzogen. „Da drüben im anderen Zimmer liegen ganz viele von ihnen. Das habe ich noch nie gesehen. Einfach toll! Die können wir gut gebrauchen!“ und schon stopfte sie die weiche Haarpracht in eins der Sofalöcher.
Es verging einige Zeit, bis meine Urgroßeltern das Sofa so hergerichtet hatten, dass sie gemütlich und weich darin schlafen konnten, und als die ersten Sonnenstrahlen des nächsten Morgens durch die Fenster des Zimmer schlüpften, entdeckten sie eine friedlich schlafende Familie.“
Im Licht der Kerzen erhebt sich Felix und ruft seinen Freunden euphorisch zu:
„Und das war der Anfang unserer Liebe für das Schauspielhaus. Mit den Jahren lernte unsere Familie jeden Schauspieler, jeden Beleuchter und Tontechniker kennen. Auch jeder neuen Inszenierung wohnten wir bei. Die Begeisterung für das Theater setzte sich von Generation zu Generation fort und trotz einiger Bemühungen der Werkstatt- und Requisitenleute haben wir uns nie vertreiben lassen.“
Felix reckt stolz seinen Kopf und seine Barthaare zittern vor Begeisterung, als er verkündet: „ Nie werden wir uns von den Brettern, die die Welt bedeuten, verjagen lassen!“
Mit Nachdruck beisst Felix in ein Stückchen Käse, das vormittags vom Brot des Intendanten zu Boden gefallen war, und seine kleinen Mäuseohren stellen sich selbstbewusst auf.

Christa Anderski