Donnerstag, 12. Juli 2018
Die Dame, die nicht sterben will
Die Dame, die nicht sterben will

Die Dame saß im Park auf einer Bank. Ihr Haar wehte ihr vor die Augen, sie streckte ihr Gesicht der Sonne entgegen. Sie genoss die Wärme, die sich in ihrem Gesicht ausbreitete. Ein Mann kam auf sie zu und blieb vor ihr stehen.
Er sprach: „Sehr verehrte Dame, ich bin der Tod und ihr müsst jetzt mit mir kommen.“
Die Dame öffnete ihre Augen und sah einen großgewachsenen, hageren Mann. Seine blasse Haut wurde durch die schwarze Kleidung betont.
„Das ihr der Tod seid, das glaube ich euch gerne“, sagte die Dame. „Aber wieso soll ich mit euch kommen?“
„Weil ich der Tod bin. Mir entkommt niemand. Ich komme, wenn eure Zeit abgelaufen ist und bringe euch ins Totenreich.“
„Da müsst ihr euch vertan haben“, entgegnete die Dame. Ich bin erst 47 Jahre alt und stehe bestimmt nicht auf eurer Liste.“
Der Tod holte ein Pergament aus seiner Manteltasche und rollte es auf. Er begann zu lesen: „Schlosspark, Dame auf Parkbank. Alter 47, Haare blond, Frisur Bop, Kleidung modisch, Charakter gibt gerne Widerworte.
Die Dame blickte dem Tod in die Augen und sagte: „Das bin ich nicht. Geht, und sucht die richtige Person.“
Doch der Tod ließ sich nicht beirren. „Doch verehrte Dame, ihr seid es. Schaut euch um, außer euch ist niemand hier.“
„Also, das ist kein Argument. Und außerdem habe ich keine Zeit. Ich habe noch diverse Dinge zu erledigen.“
Der Tod war genervt. Jedes mal das gleiche. Kam er zu einer Person um sie zu holen, hatte diese vielerlei Ausreden. Plötzlich hörte er, wie er die Dame fragte: „So, was denn?“
Überrascht über diese Frage und hektisch in ihren Gedanken forschend stammelte diese: „Ähm, also, ich will einen Marathon laufen, alle 8.000 besteigen, ein Buch schreiben, und ich will ins Weltall fliegen.“
„Und warum habt ihr das noch nicht getan?“, wollte der Tod wissen.
„Ihr wisst doch, wie das ist. Erst die Schule, dann die Ausbildung, Arbeiten, Kinder kriegen, Kinder groß ziehen, Haushalt, sich um die Eltern kümmern. Kurz gesagt, keine Zeit. Die Dame schaute auf den Boden, wusste sie doch, dass das nicht die ganze Wahrheit war.
„Okay“, sagte der Tod und zuckte kaum merklich erschrocken über seine Antwort. Sucht euch eine Sache aus.
Überrascht sah die Dame ihn an.
„Für eine Sache gewähre ich euch Zeit. Welche soll es sein?“, fragte der Tod.
Die Dame überlegte. Mit welcher Sache konnte sie die meiste Zeit gewinnen. Ins Weltall fliegen schied aus, das konnte sie schon morgen. Und alle 8.000 zu besteigen würde auf jeden Fall länger brauchen, als einen Marathon zu laufen. Blieb noch das Buch schreiben. Schließlich sagte sie: „Ich will ein Buch schreiben.“
Dies sei euch gewährt. Doch bedenkt, ich komme immer wieder vorbei und prüfe euren Fortschritt. Bin ich mit eurer Arbeit nicht zufrieden, nehme ich euch mit.



Auf der Bühne
Alle schauen mich an.
Was soll ich tun?

Alle schauen mich an.
Ich habe keine Worte mehr.

Alle schauen mich an.
Ich schäme mich.

Alle schauen mich an.
Ich schreie laut.

Alle schauen mich an.
Ich verbeuge mich.


Erny Hildebrand