Unterschlupf
Unterschlupf
Es ist eine milde Nacht. Die alte Standuhr schlägt zwölf Uhr. Felix und einige seiner Freunde sitzen gemütlich im Kerzenschein beisammen und lauschen alten Geschichten. Felix Stimme erhebt sich aus dem Dunkel. „Heute möchte ich euch von meinen Urgroßeltern erzählen. Ihr wisst, dass unsere Familie schon lange mit dem Schauspielhaus verbunden ist. Es heißt bei uns, dass meine Urgroßeltern die ersten waren, die den Zugang zum Theater fanden und sich immer wieder aufs Neue dafür begeisterten. Heute Nacht will ich euch berichten, wie es dazu gekommen ist.“ Felix blickt sich um und sieht im Mondenschein die Augen seiner Freunde aufmerksam auf sich ruhen. So fährt er fort:
„ Es war spät in der Nacht. Ein Unwetter tobte durch die Straßen der Stadt. Grelle Blitze und ohrenbetäubender Donner wechselten einander ab, Regen peitschte auf das Pflaster. Das Gewitter hatte meine Urgroßeltern und ihre 4 Kinder überrascht und sie bis auf die Haut durchnässt. Thea, meine Urgroßmutter, zitterte vor Kälte und Angst. Leo, der mein Urgroßvater war, drängte zur Eile. In ihrer großen Not sahen sie plötzlich eine Tür vor sich, die im Sturm hin und her schlug. Wie der Blitz schlüpften meine Urgroßeltern und die Kinder durch diese Tür in ein Gebäude. Gerettet! Sie schüttelten, so gut es ging, die Nässe ab. Nach einer kurzen Atempause begannen sie ihre Umgebung zu erforschen. Sie entdeckten eine Menge Räume im Gebäude, in denen sich eine Unzahl von verschiedenartigen Dingen befand, doch nirgendwo fanden sie jemanden, den sie fragen konnten, wo sie die Nacht über bleiben konnten. So machten sie sich selbst auf die Suche. Blitze erhellten kurzzeitig die Dunkelheit, so dass sie sich ein wenig orientieren konnten. Nach einigen Minuten kamen meine Urgroßeltern in ein Zimmer, in dem es staubig und muffig roch. Ein Blitz ließ sie erkennen, dass sie in einem Raum standen, in dem es vor alten Möbeln nur so wimmelte. Während Leo sich noch darüber wunderte, stieß Thea plötzlich einen Jubelschrei aus: „ Leo, schau nur, was ich gefunden habe!“ Sie stand vor einem Sofa. Ihre Augen strahlten. „Es ist groß und weich. Hier können wir es uns gemütlich machen. Von einem solchen Sofa habe ich schon immer geträumt!“ Leo wusste, dass wenn seine Frau so begeistert von einer Sache war, dann ließ sie sich nicht mehr von ihrer Meinung abbringen. Es war besser, keinen Widerspruch einzulegen. Also schaute er sich das Sofa gottergeben an.
Vor ihm erhob sich ein großes Sofa, das mit grünem Plüschsamt bezogen war und auf dem viele weiche Kissen lagen. Man sah ihm an, dass es schon einige Jahre auf dem Buckel hatte. Mein Urgroßvater schaute unter das Sofa und entdeckte einige Sprungfedern und Löcher in der Polsterung. „Na ja“, murmelte er vor sich hin, „hier könnten wir schlafen.“ Er begann die Löcher zu vertiefen, als er erneut durch einen spitzen Schrei seiner Frau aufgeschreckt wurde. Er blickte auf und sah im Schein eines Blitzes, dass Thea und seine Kinder eine große blonde Perücke hinter sich herzogen. „Da drüben im anderen Zimmer liegen ganz viele von ihnen. Das habe ich noch nie gesehen. Einfach toll! Die können wir gut gebrauchen!“ und schon stopfte sie die weiche Haarpracht in eins der Sofalöcher.
Es verging einige Zeit, bis meine Urgroßeltern das Sofa so hergerichtet hatten, dass sie gemütlich und weich darin schlafen konnten, und als die ersten Sonnenstrahlen des nächsten Morgens durch die Fenster des Zimmer schlüpften, entdeckten sie eine friedlich schlafende Familie.“
Im Licht der Kerzen erhebt sich Felix und ruft seinen Freunden euphorisch zu:
„Und das war der Anfang unserer Liebe für das Schauspielhaus. Mit den Jahren lernte unsere Familie jeden Schauspieler, jeden Beleuchter und Tontechniker kennen. Auch jeder neuen Inszenierung wohnten wir bei. Die Begeisterung für das Theater setzte sich von Generation zu Generation fort und trotz einiger Bemühungen der Werkstatt- und Requisitenleute haben wir uns nie vertreiben lassen.“
Felix reckt stolz seinen Kopf und seine Barthaare zittern vor Begeisterung, als er verkündet: „ Nie werden wir uns von den Brettern, die die Welt bedeuten, verjagen lassen!“
Mit Nachdruck beisst Felix in ein Stückchen Käse, das vormittags vom Brot des Intendanten zu Boden gefallen war, und seine kleinen Mäuseohren stellen sich selbstbewusst auf.
Christa Anderski