Biografische Texte zum Umgang mit Kriegs- und Nachkriegserlebnissen
Sie brechen das Schweigen. 32 Kriegskinder und –enkel, Frauen im Alter zwischen 52 und 88 Jahren, haben sich anderthalb Jahre lang damit beschäftigt, welche Spuren Kriegs- und Nachkriegserlebnisse in ihrem Leben hinterlassen haben. In der Anthologie „Dem Neuen entgegen leben“ haben sie dabei entstandene Texte gesammelt, die anhand des persönlichen Erlebens Antworten auf viele Fragen geben wie zum Beispiel: Wie wurde das Erlebte in die Familie weitergegeben? Was konnte verarbeitet werden? Welche Erlebnisse geistern auch heute noch manchmal als Erinnerung durch Traum und Tag? Was hat das Schweigen in der Familie bewirkt? Die Antworten darauf sind so verschieden wie die Autorinnen, die ihre Kindheit und Jugend in Schlesien, Ostpreußen, dem Rheinland, in Hessen, Bayern oder Berlin verbracht haben.
Die persönlichen Antworten sind zugleich Anregung für die Leserinnen und Leser selbst den Webmustern der eigenen familiären Vergangenheit nachzugehen. Dabei fängt die Spurensuche oft im Alltäglichen an: Das Foto eines Großvaters, den man nie kennenlernen konnte, die vertrockneten Blätter einer Eiche oder die Übung von Tieffliegern an einem schönen Sommertag – manchmal genügt ein Augenblick, um Erinnerungen an die Kriegs- und Nachkriegszeit wieder lebendig werden zu lassen.
In ihren autobiografischen Texten greifen die Autorinnen der Gruppe „Schreibzeiten“ solche Erinnerungsfäden auf und folgen ihrer Spur soweit es möglich ist. Die geschilderten Erfahrungen und Verarbeitungsprozesse sind dabei so verschieden wie die Autorinnen selbst. Die älteren von ihnen erinnern sich an Flucht und Vertreibung, andere an die Armut in zerbombten Städten oder das Ende der Schreckensherrschaft. Was davon macht sich noch heute bemerkbar in Lebenseinstellungen, Albträumen oder Überzeugungen? Die Jüngeren gehen dem Schweigen in der Familie nach. Warum erzählten die Eltern so wenig? Warum fragten sie nicht? Was hat das Schweigen, das sich zwischen ihnen ausbreitete, mit ihnen gemacht?
Die gemeinsame Spurensuche war ein Prozess, der sich in vielen Gesprächen innerhalb der Schreibgruppe und auch in stillen Stunden zu Hause entwickelt hat. Er war nicht immer leicht, aber er war immer fruchtbar. Erste Antworten wurden gefunden, oft auch ein neues Verständnis für den eigenen Lebensweg. Gefunden haben die Autorinnen auch Versöhnliches und Verbindendes, manchmal auch dort, wo sie es gar nicht vermutet haben. Das Schreiben und Sammeln der Texte hat bei ihnen Erinnerungs- und Verarbeitungsprozesse ausgelöst. Es hat das belastende Schweigen gebrochen und vor allem eine befreiende Wirkung entfaltet. Dies wünschen sie auch den Leserinnen und Lesern.
Anthologie
Dem Neuen entgegen leben
Biografische Texte zum Umgang
mit Kriegs- und Nachkriegserlebnissen
Hrsg.: Erny Hildebrand
242 Seiten, 14,- Euro
Engelsdorfer Verlag
ISBN: 978-3-95744-338-0