Die Berufung


Die Ausbildung lag hinter mir.
Anstrengende Jahre waren es gewesen.
Aus Leidenschaft für das Theater, schon als Kind hatte mich die Atmosphäre von geheimnisvollem Dunkel und Magie ,die vor einer Vorstellung im Zuschauerraum herrscht, verzaubert, wollte ich unbedingt Schauspielerin werden.
Atemlos hatte ich dem Spiel zugesehen,mitgefiebert, die Figuren des Stückes bewundert, mit ihnen gelitten, sie gefürchtet oder mich mit ihnen identifiziert.
Innerlich zitternd, ob ich den Anforderungen einer Schauspielschule genügte, hatte ich mich beworben und von Lampenfieber schwitzend, äußerlich jedoch Überlegenheit vortäuschend die verschiedensten Rollen vorgesprochen.
Nach der dritten Bewerbung wurde ich endlich angenommen.
Ich durchlief eine strenge Schule. Oft dachte ich, das schaffst du nie. So hatte ich es mir nicht vorgestellt. Während meiner stärksten Krisen, glaubte ich mir fehle jegliches Talent ausdrucksfähig zu spielen.
Wir wurden geschliffen, zurechtgehobelt, getadelt und sehr selten gelobt.
Ich fühlte mich ausgelaugt, voller Selbstzweifel und wollte doch nicht aufgeben.
Langsam, ganz langsam wurde ich besser. Es gelang mir immer öfter Gefühle darzustellen, authentisch zu wirken, mich in meine Rollen hinein zu versetzen und bekam dadurch mehr Lob.
Schließlich hatte ich die Prüfung geschafft.
Jetzt hatte ich sogar dieses Engagement hier im Schauspielhaus bekommen. Zunächst wurde ich nur in kleinen Nebenrollen eingesetzt, aber ich war meinem Ziel näher.
Begierig saugte ich die Athmosphäre des Hauses auf.
Hinter der Bühne, in diesem Labyrinth von Werkstätten, Lagern, Räumen und Winkeln kann man sich verirren. Die aufgeräumten Hallen der Schreiner, Maler, Künstler, Schneider und Schuhmacher, in denen nach Holz, Leim, frischer Farbe, Stoffen und Leder riecht, sind das Gegenteil der Räume, in denen die Requisiten oder Möbel in den Stilen vieler Epochen lagern. Hier schwebt der Staub von Jahren und regt zur Fantasie an. In welcher Vorstellung hat wohl dieser Kronleuchter, jenes Sofa, oder dieser merkwürdige Gegenstand eine Rolle gespielt. Kaum zu glauben, dass jedes dieser Dinge ordentlich registriert und beschriftet ist und es jemanden gibt, der darüber Bescheid weiß und das ohne die Hilfe von Computerlisten.
Besonders beeindruckt war ich von der Probebühne und der Maske. Jede noch so kleine Rolle, selbst die Statisten werden hier passend geschminkt und angekleidet. Die Perücken sind aus Echthaar geknüpft, sogar die Schuhe handgenäht. Mir halfen die Kostüme sehr in meine jeweilige Rolle zu schlüpfen. Noch heute ist es, als zöge ich mir mit der Verkleidung gleichsam den Charakter der zu spielenden Figur an.
Auf der Bühne fühlte ich mich damals ganz klein und unscheinbar." Das sieht man auch", meinte der Regisseur "Du musst präsent sein, auftreten ! Auch in der hintersten Reihe musst Du wahrgenommen werden"
Das Licht der Scheinwerfer blendete mich, zugleich fokussierte es sich auf mich und half mir aus meiner Deckung herauszukommen, in der ich mich innerlich noch befand.
Präsenz zeigen!, dachte ich und meine Scheu verschwand je mehr ich in meine Rolle eintauchte.
Nach einer Probe, die fast immer mehrere Stunden dauerte, während der ich die meiste Zeit herumsaß und auf meine winzig kleinen Auftritte wartete, war ich total erschöpft.
Viele meiner Kollegen, die schon länger hier arbeiteten, waren da abgeklärter, routinierter. Sie alberten herum, rauchten und aßen mitgebrachte Butterbrote.
Heute nach vielen Jahren habe ich zwar immer noch Lampenfieber und bin nach der Vorstellung sehr müde, aber sobald ich auf der Bühne stehe, gehe ich ganz in meiner Rolle auf. Es beflügelt mich, wenn ich merke, ich komme beim Publikum an. Besonders dann, wenn ich eine unsympathische, böse Person zu verkörpern habe. Die reizen mich sowieso am meisten.
Wenn Zuschauer die Vorstellung vorzeitig verlassen, denke ich, wenn die wüssten, wieviel Energie es kostet ein Stück zur Aufführung zu bringen, angefangen beim Entwurf des Bühnenbildes, Auswahl der Stoffe, der Kostüme, der Beleuchtung, der Effekte und das ganze Zusammenspiel aller Beteiligten vom Handwerker hinter der Bühne bis zu den Schauspielern, hätten sie bestimmt mehr Respekt.
Es gefällt sicher nicht jedem alles, aber die große Leistung , die hinter so einer Vostellung steckt, die könnten sie nach einem Blick hinter die Kulissen besser würdigen.

Ingrid Denzel