Dienstag, 11. Juni 2019
Besuchssonntage
Die größte Freude ist bekanntlich die Vorfreude. Das kleine Köfferchen mit Schmutzwäsche als Gepäck und ab in die Freiheit. Die Klostermauern von Samstag bis Sonntagabend zu verlassen fühlte sich an wie ein Aufbruch in eine neue, schönere Welt. Nur die Stimmung vor einem Urlaub konnte dieses erhebende. euphorische Abheben beim Gang zur Bahn noch übertreffen.

Immer und immer wieder während der langen drei Jahre kam dieses Gefühl auf. Die Erwartung, freudig erwartet und empfangen zu werden war allerdings täuschend. Hin und wieder verlief das Wochenende gut. Dann wieder kehrte ich zurück mit umgeänderten Röcken und abgetragenen Pullovern. Dafür schämte ich mich in Grund und Boden. Einmal holte mich der damalige Freund meiner Mutter ab und brachte mich als "Überraschung" nach Hause in den 2. Stock. Der erste Satz meiner Mutter beim Öffnen der Tür war: "Was willst du denn hier?" Egon fing damals die schlechte Stimmung auf, aber diese Frage blieb stellvertretend für mein Dasein als Tochter. Vergnügungen hießen zuhause 'nicht kochen müssen', 'ausgeführt werden' ohne Kind und bewundernde Blicke zu erheischen, doch nicht als 'Mama'.

Das kühle Gemäuer, die langen Gänge im Kloster und das Silentium rufen dennoch immer eine friedliche, Stille stiftende Ruhe in mir wach; dies auch noch lange nach der Internatszeit. Die Andachten und das Exerzieren kirchlicher Rituale halfen und helfen über das häusliche Halligalli hinweg. Ich besuche noch immer gerne Kirchen.



Dienstag, 4. Juni 2019
Miss Trauen
In England ist ein Fräulein, das es bei uns ja gar nicht mehr gibt, immer noch eine Miss. Bedeutet Misstrauen dann eigentlich Fräuleintrauen? Oder, weil ein Fräulein hier ja wegen der Emanzipation auch eine normale Frau ist, in Frautrauen? Emanzipiert englisch hieße es dann konsequenterweise Mrstrauen.
Frau Trauen ist mir übrigens gut bekannt. Sie wohnt im dritten Stock rechts, gleich neben Herrn Kunft. Zusammen würden sie ein gutes Paar abgeben. Ich lade sie mal gemeinsam zum Tee ein.

Erny Hildebrand



Freitag, 31. Mai 2019
Lesungen 2019
stellt neue Texte vor.

18.September 19, 18-20.30

im Bürgerhaus Bilk
Salzmannbau Düsseldorf
Himmelgeister Str. 104 H

Eintritt frei



Mittwoch, 29. Mai 2019
Lesungen 2019
Buchmesse vom Westdeutschen Autorenverband
28.4.19, 16.00
im Salzmannbau, Himmelgeister Str. 107, Düsseldorf


Erzählcafe´ im Kultur- und Stadthistorischem Museum
19.5.19, 15.00
Johannes-Corputius-Platz 1, Duisburg



Dienstag, 28. Mai 2019
Heuhaufen versteigert
Stroh zu Gold spinnen, war einmal. Heutzutage ist es praktischer, Heu zu Geld zu machen. Letzte Woche wurde ein einziger Heuhaufen für 100 Millionen verkauft. Ein einziger! Man muss das mal hochrechnen auf eine ganze Wiese. Leute, lasst das Gras wachsen, egal, ob ihr es hört oder nicht.
Waaas? Der Heuhaufen war gar nicht mal echt? Nur gemalt? Das wird ja immer schöner. Her mit den Farben!

Erny Hildebrand



Montag, 22. April 2019
Ich wär so gerne weise
Ich wär so gerne weise, gelassen und entspannt.
Doch leider liegt das allzu oft nicht in meiner Hand.

Manchmal bin ich weise, dann fühle ich wie du.
Ich nehme dich in meinen Arm und der Kummer vergeht im Nu.

Früher war ich nicht weise, machte alles nur mit mir aus.
Doch heute bin ich schlauer und tausche mich mit anderen aus.

Oft, da bin ich weise, bin dankbar für alles, was ich hab.
Zufriedenheit und Glück sind dann, was in meinem Herzen labt.

Mit dir werde ich weise, du zeigst mir neue Wege auf.
Nun gehe ich da lang und nehm ein stolpern in Kauf.

Ich wär so gerne weise, doch ich komm mir nicht so vor.
Egal, ich nehm mich, wie ich bin, und geh durchs nächste Tor.



Sonntag, 7. April 2019
Männer!
Mordillo
Mordillo (https://cdn03.plentymarkets.com/cfugbtln6xm7/item/images/98823/middle/0103-7350210.jpg)

Gestern war ich mit meiner Männerriege bei mir zu Hause. Wir wollten zum letzten Mal unsere Männerpyramide trainieren, bevor wir sie am Sonntag beim Wettbewerb der hiesigen Turnvereine vorführen würden. Zum Aufwärmen tranken wir ein bisschen Bier. Dann sollte es losgehen mit dem Training. Aber Oskar, unser Untermann, war nicht im Wohnzimmer. „Oskar!“: schrien wir durch die Wohnung. „Oskar, komm, wir brauchen dich!“ Kein Oskar ließ sich blicken. „Oskar, beeil dich, wir wollen anfangen!“ Nichts rührte sich. Wir schauten uns befremdet an. Plötzlich schlug sich Theobald vor die Stirn. „Oh nein! Oskar liegt doch mit Grippe im Bett, er hatte mich doch noch kurz vor unserem Treffen angerufen!“
Da war guter Rat teuer, denn ohne Oskar ging nichts. Einige von uns fielen lautstark über Theo her, andere wollten ihre Verzweiflung im Bier ertränken. In dieses Chaos ertönte der Ruf meiner Frau aus der Küche: „Wann seid ihr fertig? Soll ich schon das Essen auf den Herd stellen?“
In dem Augenblick durchzuckte mich eine Erleuchtung. Meine Frau! Das war die Lösung! Sie stemmte so vieles, da wird sie uns doch auch noch stemmen können! Ich winkte meinen Leuten und wir düsten in die Küche. „Emma, wir bauen unsere Pyramide bei dir in der Küche auf. Emma, du musst uns eben mal helfen! Du brauchst uns nur mal kurz zu stemmen. Das bisschen Haushalt kannst du ja nebenbei machen.“
Meine Frau streckte wortlos ihren rechten Arm aus und wir elf Mann kletterten an ihr hoch und bildeten unsere Formationen. Es klappte vorzüglich, bis mein Kleiner, der in der Küche im Kinderwagen lag, anfing zu schreien. Es war nicht zum Aushalten! Meine drei oberen Mannen begannen zu schwanken. „Emma, sorge sofort dafür, dass der Kleine still ist!“ schrie ich wütend meiner Frau zu. Ohne ein Wort hob sie, weiter bügelnd, ihr rechtes Bein und schaukelte damit den Kinderwagen. Mein Kleiner beruhigte sich. Nun schaffte ich es, auf die Spitze der Pyramide zu klettern. Dort entrollte ich die rote Fahne mit dem weißen Herz. Ich winkte meiner Frau zu und stimmte unser Lied an: „Wir Männer sind die besten und stärksten Wesen auf der ganzen Welt!“ Wir sangen aus vollster Kehle und mit tiefster Inbrunst.
Meine Frau fing an zu zittern. Wir kamen ins Schwanken. Theobald, der als erster zu Boden fiel, rief fassungslos: „Ich glaube, deine Frau lacht!“

Christa Anderski



Freitag, 5. April 2019
Auf der Kö in Düsseldorf
Ein Vetter von mir kam erst 1949 im November aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück.
In seine Heimat Ostpreußen konnte er nicht mehr, so kam er nach Düsseldorf. Wir waren für viele Verwandte ein fester Punkt nach dem Krieg. Georg bekam sehr schnell eine Arbeit beim statistischen Landesamt. Im Anschluss bekam er eine Anstellung bei der Eisenbahnversicherungskasse. Georg besaß schon Mitte der 50iger Jahre einen viertürigen Mercedes.
Einmal waren wir zusammen mit noch einem anderen Ehepaar in der Altstadt gewesen, wir feierten fröhlich und tranken auch einiges. Mein Mann fuhr das Auto. Statt am Ende nach Hause zu fahren, sagte Georg: „Wir fahren jetzt noch zur Kö-West. Da kenn ich eine frühere Kollegin, die gehen wir jetzt ärgern.“
An der Kö-West standen die sogenannten Bordsteinschwalben in Grüppchen. Georg ließ anhalten, drehte eine Scheibe herunter und rief: „Alle herkommen und Geld abliefern!“
Dann platzierte er eine Frau neben sich auf den Beifahrersitz neben sich. Zwei Prostituierte auf den Schoß des anderen Ehemannes. Wir saßen zu sechst auf der Rückbank. Wir fuhren eine ganze Weile die Kö rauf und runter, immer im Karree. Die Fenster im Auto waren inzwischen alle offen. Die Prostituierten im Wagen beschimpften ihre Kolleginnen, die dort standen, auf das Übelste, wie sie es oft von den Männern ertragen mussten. Wenn ich die Bordsteinschwalben woanders gesehen hätte, wäre mir nicht aufgefallen, welchen Beruf sie gehabt hätten. Sie redeten von den intimsten Sachen ihres Geschäftes, als ob es sich um z.B. Apfelsinenhandel drehte. Wir haben so gelacht, dass uns die Gesichtsmuskeln weh taten. Für deren Geschäft war es noch zu früh. Da stand eine elegant gekleidete Dame in hellblauem Kostüm mit einer hellblonden Hochsteckfrisur. Eine Frau aus unserem Auto rief: „ Die hat alle unsere Freier mit Tripper angesteckt.“ Die Brünette neben Georg erzählte, sie habe ein Kind geboren und habe noch Wochenfluss. Jetzt könne sie nur „französisch“. Eine sehr junge Frau von der Rückbank wiederholte dauernd, sie gäbe eine Flasche Sekt aus, wenn sie Georg mal vernaschen könnte.
Das Ganze war so irre für mich!


Ingrid Basile



Freitag, 13. Juli 2018
Auf der Bühne des Lebens
Spot an!
Plötzlich und unverhofft liege ich im grellen Licht des Lebens. Gerade noch im engen und dunklen Kanal strömt nun alles auf mich ein, ungedämpft und ungefiltert.
Mit aller Macht bedrängt es mich: Licht, Lärm, Kälte, Wärme, Berührungen. Ich schreie auf vor der Intensität des mich überflutenden Lebens. Mein Herz schlägt wie wild.
Ich spüre Hände auf meinem Körper, Tücher umhüllen mich. Ich schreie. Man legt mich ab. Vertrautes durchdringt mich. Geruch, Weichheit und Stimme meiner Mutter besänftigen die beängstigenden Wirbelstürme und schenken mir Frieden. Ich bin geboren.

Viele Auftritte auf der Bühne des Lebens liegen nun hinter mir. Auftritte in eigener oder fremder Regie, gelungene und misslungene Projekte, unbedeutende und bedeutsame Stücke.

Spot aus!
Nun liege ich still und ersehne meinen letzten Auftritt. Nicht ich werde Regie führen, sondern ich werde mich führen lassen. Ein kleines, vertrautes Publikum wird mich begleiten. Erlösung und Frieden werden mich umhüllen. Am Ende der Aufführung erstrahlt ein sanftes Licht und in seinem Schein werde ich atemlos hinüber gleiten in ein anderes, ein neues Leben.

Christa Anderski



Donnerstag, 12. Juli 2018
Die Dame, die nicht sterben will
Die Dame, die nicht sterben will

Die Dame saß im Park auf einer Bank. Ihr Haar wehte ihr vor die Augen, sie streckte ihr Gesicht der Sonne entgegen. Sie genoss die Wärme, die sich in ihrem Gesicht ausbreitete. Ein Mann kam auf sie zu und blieb vor ihr stehen.
Er sprach: „Sehr verehrte Dame, ich bin der Tod und ihr müsst jetzt mit mir kommen.“
Die Dame öffnete ihre Augen und sah einen großgewachsenen, hageren Mann. Seine blasse Haut wurde durch die schwarze Kleidung betont.
„Das ihr der Tod seid, das glaube ich euch gerne“, sagte die Dame. „Aber wieso soll ich mit euch kommen?“
„Weil ich der Tod bin. Mir entkommt niemand. Ich komme, wenn eure Zeit abgelaufen ist und bringe euch ins Totenreich.“
„Da müsst ihr euch vertan haben“, entgegnete die Dame. Ich bin erst 47 Jahre alt und stehe bestimmt nicht auf eurer Liste.“
Der Tod holte ein Pergament aus seiner Manteltasche und rollte es auf. Er begann zu lesen: „Schlosspark, Dame auf Parkbank. Alter 47, Haare blond, Frisur Bop, Kleidung modisch, Charakter gibt gerne Widerworte.
Die Dame blickte dem Tod in die Augen und sagte: „Das bin ich nicht. Geht, und sucht die richtige Person.“
Doch der Tod ließ sich nicht beirren. „Doch verehrte Dame, ihr seid es. Schaut euch um, außer euch ist niemand hier.“
„Also, das ist kein Argument. Und außerdem habe ich keine Zeit. Ich habe noch diverse Dinge zu erledigen.“
Der Tod war genervt. Jedes mal das gleiche. Kam er zu einer Person um sie zu holen, hatte diese vielerlei Ausreden. Plötzlich hörte er, wie er die Dame fragte: „So, was denn?“
Überrascht über diese Frage und hektisch in ihren Gedanken forschend stammelte diese: „Ähm, also, ich will einen Marathon laufen, alle 8.000 besteigen, ein Buch schreiben, und ich will ins Weltall fliegen.“
„Und warum habt ihr das noch nicht getan?“, wollte der Tod wissen.
„Ihr wisst doch, wie das ist. Erst die Schule, dann die Ausbildung, Arbeiten, Kinder kriegen, Kinder groß ziehen, Haushalt, sich um die Eltern kümmern. Kurz gesagt, keine Zeit. Die Dame schaute auf den Boden, wusste sie doch, dass das nicht die ganze Wahrheit war.
„Okay“, sagte der Tod und zuckte kaum merklich erschrocken über seine Antwort. Sucht euch eine Sache aus.
Überrascht sah die Dame ihn an.
„Für eine Sache gewähre ich euch Zeit. Welche soll es sein?“, fragte der Tod.
Die Dame überlegte. Mit welcher Sache konnte sie die meiste Zeit gewinnen. Ins Weltall fliegen schied aus, das konnte sie schon morgen. Und alle 8.000 zu besteigen würde auf jeden Fall länger brauchen, als einen Marathon zu laufen. Blieb noch das Buch schreiben. Schließlich sagte sie: „Ich will ein Buch schreiben.“
Dies sei euch gewährt. Doch bedenkt, ich komme immer wieder vorbei und prüfe euren Fortschritt. Bin ich mit eurer Arbeit nicht zufrieden, nehme ich euch mit.



Auf der Bühne
Alle schauen mich an.
Was soll ich tun?

Alle schauen mich an.
Ich habe keine Worte mehr.

Alle schauen mich an.
Ich schäme mich.

Alle schauen mich an.
Ich schreie laut.

Alle schauen mich an.
Ich verbeuge mich.


Erny Hildebrand