Sonntag, 1. April 2018
Ein magisch-kryptischer Ort
Artikelbild Krypta

Aus den schwarzen Tiefen eines Kellers erhebt sich das Firmament. Abertausend Sterne funkeln dir entgegen. Du atmest Weite, du, ein winziger Punkt in der Unendlichkeit des Weltalls.
Plötzlich gleißendes Licht. Sonne erstrahlt. Sie umarmt dich siebenringig mit ihrer leuchtenden Kraft. Ihre Mächtigkeit erfüllt den Raum. Sie spiegelt sich in den dunklen Wassern der Erde und breitet sich aus über die Kontinente der Welt.
Aus dem Auge der Dreifaltigkeit strömt der Heilige Geist in die Sonne und vermählt sich mit ihr.
Sphärische Klänge umspielen die goldenen Engel, die das blaue Christenkreuz verbergen.
Zeit und Raum heben sich auf und verkündigen die Ewigkeit. Die Ewigkeit des Seins, die dich versöhnt mit deinem kurzen menschlichen Leben.
Du, ein einziger Wimpernschlag der Ewigkeit, bist geborgen in der Allmacht des Seins, in der Unendlichkeit des Alls und in der Einheit der Wesenheit.

Christa Anderski



Mittwoch, 28. März 2018
In einer Krypta
Mit der Schreibgruppe "Schreiben an ungewöhnlichen Orten" haben wir die Krypta in der Düsseldorfer Musikhochschule besucht. Der folgende Text enthält einen ersten Eindruck davon.

Kryptisch! Wir sehen überall Geheimnisse
Und wollen alles erklären.
Es ist, wie es ist!
Es ist, was es ist!
Und dann wollen wir glauben.

Einer, der meint, er habe die Welt verstanden.
Hat er gar keine Zweifel?
Zweifellos kann ich nicht sein.
Musik ist Harmonie -
aber was wäre sie ohne Disharmonien?

Der das Geld gibt
gibt das Bild vor
das Kreuz wie ein Schwert
das schon so viel Leid auslöste
versteckt
hinter Türen aus Gold
bewacht von Engeln aus Goldwasser

Musikstudenten nutzen die Krypta nicht.
Wie sehen ihre Andachtsräume aus?
Hätte man sie vorher fragen sollen?

Erny Hildebrand



Mittwoch, 14. Februar 2018
Schreiben an ungwöhnlichen Orten
Neue Termine für Schreiben an ungewöhnlichen Orten:

Jeweils Montags nachmittags:

05. März
o7. Mai
02. Juli
03. September
05. November

Uhrzeit wird Treffpunkt wird kurzfristig bekannt gegeben.

Weitere Infos und Anmeldung unter
hildebrand.freiraum@t-online.de
Tel.: 0211 / 239 71 00



Sonntag, 25. Juni 2017
Tanz auf dem Seil der Wahrheit
Christa Anderski

Menschen sitzen erwartungsvoll am Rande eines Raumes. Sie schauen unruhig auf die Bühne, auf der sich das Spektakel ereignen wird. Drei schwarze Tische heben sich bedrohlich vom hellen Parkettboden und den weißen Wänden ab. Hinter jedem der Tische sitzt ein Mensch in schwarzem Gewand. Ein Hauch von Ernst und Gewichtigkeit ist zu spüren. Die schwarze Gestalt, die als Vorsitzende der Jury über den anderen thront, beginnt mit ihren Worten das Seil der Wahrheit quer durch den Raum zu spannen.
„Sie sind als Zeuge geladen. Als Zeuge sind Sie der Wahrheit verpflichtet. Sie müssen die Wahrheit sagen. Lassen Sie nichts weg und sagen Sie nichts Ausgedachtes. Wenn Sie lügen, machen Sie sich strafbar.“
Das Seil wird nachgespannt. „Sollten Ihre Aussagen vereidigt werden und Sie haben eine falsche Aussage getätigt, dann drohen Ihnen Geld- oder Haftstrafen.“
Dann ist es soweit. Der erste Seiltänzer betritt die Bühne. Es ist ein großer Mann, dessen leichte Nervosität sich nur an fahrigen Bewegungen seiner Füße erkennen lässt. Er steigt auf das Seil. Schnell hat er sich ausgependelt und geht sicher, von Fragen geleitet, darüber. Ohne Stocken und ohne Wankelmut erreicht er, unbeeindruckt von leichten Wortböen, sein Ziel.
Erleichterung spiegelt sich in seinem Gesicht, als er wieder festen Boden betritt.

Nach kurzer Beratung wird der zweite Seiltänzer auf die Bühne gebeten. Es ist ein junger Mensch. Es ist sein erster Auftritt. Er gibt sich sicher und gelassen. Doch schon von Anfang an bläst ihm ein schärferer Wind entgegen, als er das Seil betritt. Trotzdem ist sein Schritt noch fest. Da zieht ein Gewitter sich über ihm zusammen. Er spürt die Gefahr, denn das Seil der Wahrheit beginnt heftig zu schwanken. Angst steigt in ihm auf. Der junge Seiltänzer biegt seinen Oberkörper vor und zurück, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Sein Schritt wird immer zögerlicher. Hilfesuchend wirft er einen Blick auf seinen Betreuer und spürt auch bei diesem Unsicherheit. Dennoch wird ihm von dort schnell eine Balancestange gereicht. Befreit greift der Junge sie auf. „Ich kann mich nicht mehr genau erinnern.“ Mit diesen Worten eilt er vorwärts und rettet er sich zum Seilende, ohne in den Abgrund der Lüge zu stürzen. Mit angespanntem und bleichem Gesicht setzt er sich neben den ersten Seiltänzer.

Die Vorsitzende der Jury ruft den dritten Bewerber auf. Eine junge Frau tritt hervor. Ihr rotschwarzes Kostüm flackert auf in der aufgeladenen Atmosphäre. Sie spürt Bedrohlichkeit, doch ihr Lächeln strebt, diese zu verscheuchen. Mit Anmut klettert sie auf das Seil der Wahrheit. Ihre ersten Schritte sind graziös. Doch dann zuckt ein greller Blitz, unmittelbar gefolgt von einem Donnerschlag, durch den Raum. Sturmböen setzen ein und setzen das Seil in Schwingungen. Erschreckt schreit die Seiltänzerin auf. Die ihr zugeworfene Balancestange gleitet durch ihre Finger und zersplittert auf dem Boden. Mit letzter Kraft versucht die junge Frau das Gleichgewicht zu halten. Da rutscht ihr rechter Fuß ab und sie stürzt in den Abgrund der Lüge.
„ Die Akte geht zur Staatsanwaltschaft wegen Betrugs im Prozessverfahren.“



Montag, 8. Mai 2017
Unterschlupf
Unterschlupf

Es ist eine milde Nacht. Die alte Standuhr schlägt zwölf Uhr. Felix und einige seiner Freunde sitzen gemütlich im Kerzenschein beisammen und lauschen alten Geschichten. Felix Stimme erhebt sich aus dem Dunkel. „Heute möchte ich euch von meinen Urgroßeltern erzählen. Ihr wisst, dass unsere Familie schon lange mit dem Schauspielhaus verbunden ist. Es heißt bei uns, dass meine Urgroßeltern die ersten waren, die den Zugang zum Theater fanden und sich immer wieder aufs Neue dafür begeisterten. Heute Nacht will ich euch berichten, wie es dazu gekommen ist.“ Felix blickt sich um und sieht im Mondenschein die Augen seiner Freunde aufmerksam auf sich ruhen. So fährt er fort:
„ Es war spät in der Nacht. Ein Unwetter tobte durch die Straßen der Stadt. Grelle Blitze und ohrenbetäubender Donner wechselten einander ab, Regen peitschte auf das Pflaster. Das Gewitter hatte meine Urgroßeltern und ihre 4 Kinder überrascht und sie bis auf die Haut durchnässt. Thea, meine Urgroßmutter, zitterte vor Kälte und Angst. Leo, der mein Urgroßvater war, drängte zur Eile. In ihrer großen Not sahen sie plötzlich eine Tür vor sich, die im Sturm hin und her schlug. Wie der Blitz schlüpften meine Urgroßeltern und die Kinder durch diese Tür in ein Gebäude. Gerettet! Sie schüttelten, so gut es ging, die Nässe ab. Nach einer kurzen Atempause begannen sie ihre Umgebung zu erforschen. Sie entdeckten eine Menge Räume im Gebäude, in denen sich eine Unzahl von verschiedenartigen Dingen befand, doch nirgendwo fanden sie jemanden, den sie fragen konnten, wo sie die Nacht über bleiben konnten. So machten sie sich selbst auf die Suche. Blitze erhellten kurzzeitig die Dunkelheit, so dass sie sich ein wenig orientieren konnten. Nach einigen Minuten kamen meine Urgroßeltern in ein Zimmer, in dem es staubig und muffig roch. Ein Blitz ließ sie erkennen, dass sie in einem Raum standen, in dem es vor alten Möbeln nur so wimmelte. Während Leo sich noch darüber wunderte, stieß Thea plötzlich einen Jubelschrei aus: „ Leo, schau nur, was ich gefunden habe!“ Sie stand vor einem Sofa. Ihre Augen strahlten. „Es ist groß und weich. Hier können wir es uns gemütlich machen. Von einem solchen Sofa habe ich schon immer geträumt!“ Leo wusste, dass wenn seine Frau so begeistert von einer Sache war, dann ließ sie sich nicht mehr von ihrer Meinung abbringen. Es war besser, keinen Widerspruch einzulegen. Also schaute er sich das Sofa gottergeben an.
Vor ihm erhob sich ein großes Sofa, das mit grünem Plüschsamt bezogen war und auf dem viele weiche Kissen lagen. Man sah ihm an, dass es schon einige Jahre auf dem Buckel hatte. Mein Urgroßvater schaute unter das Sofa und entdeckte einige Sprungfedern und Löcher in der Polsterung. „Na ja“, murmelte er vor sich hin, „hier könnten wir schlafen.“ Er begann die Löcher zu vertiefen, als er erneut durch einen spitzen Schrei seiner Frau aufgeschreckt wurde. Er blickte auf und sah im Schein eines Blitzes, dass Thea und seine Kinder eine große blonde Perücke hinter sich herzogen. „Da drüben im anderen Zimmer liegen ganz viele von ihnen. Das habe ich noch nie gesehen. Einfach toll! Die können wir gut gebrauchen!“ und schon stopfte sie die weiche Haarpracht in eins der Sofalöcher.
Es verging einige Zeit, bis meine Urgroßeltern das Sofa so hergerichtet hatten, dass sie gemütlich und weich darin schlafen konnten, und als die ersten Sonnenstrahlen des nächsten Morgens durch die Fenster des Zimmer schlüpften, entdeckten sie eine friedlich schlafende Familie.“
Im Licht der Kerzen erhebt sich Felix und ruft seinen Freunden euphorisch zu:
„Und das war der Anfang unserer Liebe für das Schauspielhaus. Mit den Jahren lernte unsere Familie jeden Schauspieler, jeden Beleuchter und Tontechniker kennen. Auch jeder neuen Inszenierung wohnten wir bei. Die Begeisterung für das Theater setzte sich von Generation zu Generation fort und trotz einiger Bemühungen der Werkstatt- und Requisitenleute haben wir uns nie vertreiben lassen.“
Felix reckt stolz seinen Kopf und seine Barthaare zittern vor Begeisterung, als er verkündet: „ Nie werden wir uns von den Brettern, die die Welt bedeuten, verjagen lassen!“
Mit Nachdruck beisst Felix in ein Stückchen Käse, das vormittags vom Brot des Intendanten zu Boden gefallen war, und seine kleinen Mäuseohren stellen sich selbstbewusst auf.

Christa Anderski



Dienstag, 21. Februar 2017
Lesermeinung
Wir freuen uns sehr über ein Feedback von Roswitha Poensgen zu unserem neuen Buch "Spielen - was sonst?". Frau Poensgen schickte mir einen Brief, in dem es heißt:

"Der Titel "Spielen - was sonst?" hat mich sofort begeistert, denn ich bin auch der Meinung, dass der Ursprung aller Kultur im Spiel liegt. So haben mir die vielen verschiedenen Erlebnisse in diesem Buch sehr gefallen. Da werden die unterschiedlichsten Erinnerungen erzählt und natürlich kommt oft der Gedanke: "Das kenne ich auch!" Darum hat es mir viel Freude gemacht, das Buch zu lesen! Vielen Dank und herzliche Grüße! Roswitha Poensgen

Liebe Frau Poensgen, vielen Dank für diese wertschätzende Rückmeldung.



Dienstag, 17. Januar 2017
Neuerscheinung: Spielen - Was sonst?
Düsseldorf, 17.01.2017 - Das Thema Spielen gewinnt in unserer leistungsorientierten Zeit wieder zunehmend an Beachtung. Die Düsseldorfer Autorinnengruppe „Schreibzeiten“ widmet sich dem Thema in ihrer eben im Engelsdorfer Verlag erschienenen Anthologie „Spielen – Was sonst!“.

32 Autorinnen haben „das Spielen“ von unterschiedlichsten Perspektiven aus beleuchtet. Neben biografischen Texten aus Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter sind daraus Kurzgeschichten, Gedichte und Fachbeiträge erwachsen.

Friedrich Schiller betonte seinerzeit: „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“. Aber gerade das zweckfreie Spielen verlangt in unserer Gesellschaft nach einer Renaissance. Der Neurobiologe Gerald Hüther, der im September 2016 sein Buch „Rettet das Spiel“ veröffentlichte, verweist auf die Notwendigkeit des Spiels für die menschliche Entwicklung.

Dabei haben die Autorinnen den Begriff „Spiel“ hier im weitesten Sinne gesehen. Sie haben das Thema gepackt, geknetet und hin und her gewälzt. Sie haben sich an manches erinnert, anderes erdacht, einiges verworfen und vieles bestaunt. Schließlich spannen die Texte der Anthologie einen weiten Bogen von Erinnerungen an Kinderspiele, über Rollen, die ein Leben beinhaltet bis hin zum Theaterspiel, dem Wettkampf und der Spielsucht. Ein Kapitel mit Schreibspielen, für die man nichts weiter als Papier, Stifte und gesellige Mitspielerinnen und Mitspieler braucht, sowie viele Fotos komplettieren das breite Spektrum dieser Anthologie.

Beiträge wie „Des Teufels Gebetbuch“, „Das Glück im Karton“, „Ich wär dann mal der Majoratsherr“ oder „Mascha spielt keine Rolle mehr“ erwecken Neugier, sich dem Thema „Spielen“ zuzuwenden. Natürlich fehlt bei einem Buch über das Spielen auch der Humor nicht. Texte wie „Rache ist süß“ oder „Hackbrett fürs Rheinland“ zaubern dem Leser ein Lächeln ins Gesicht.


Spielen – Was sonst!
Lebenserfahrungen von Null bis Ultimo
Anthologie der Gruppe „Schreibzeiten“
Herausgeberin:Erny Hildebrand
Engelsdorfer Verlag
12,90
ISBN: 978-3-96008-694-9



Lesung in der Destille
Die Gruppe "Schreibzeiten" liest zum Thema "Gedankenspiele".

04. Februar 2017
17.00 bis 18.30
Blaue Stunde
in der Destille
Bilker Straße 46
40213 Düsseldorf

Eintritt frei



Sonntag, 11. Dezember 2016
Zwiespalt
Christa Anderski

Bereifte Rosenknospen, hochgeschlagene Mantelkragen, tief hängende graue Wolken, Menschen, die fröstelnd über das Kopfsteinpflaster eilen.
Ein Lichtstrahl sucht seinen Weg durch den trüben Novembertag und gleitet durch die Fenster eines Museums. Er trifft auf eine Fotographie. In seinem Schein taucht eine Figur auf mannshoher grauer Betonmauer auf: schwarz, schmal, voller Bewegung, in einem Schwung und in einem einzigen Strich gezeichnet.
Es ist ein Mann, der dem Dunkel einer Tiefgarage entflohen ist. Er springt über eine Mauer und jagt einem lichtbeschwingten Schmetterling nach. Seine Sehnsucht nach Licht und Leben verleiht ihm Kraft und Bewegung.
Ich stehe vor dem Bild und bin fasziniert von der Ausdrucksstärke dieser gemalten „Momentaufnahme“. Sehnsucht nach Licht und Freiheit - abstrahiert in einer einzigen Figur!
Da zieht der Lichtstrahl auf einmal weiter durch den Raum. Er trifft auf die Fotographie einer Hauswand, die in seinem Licht weiß erstrahlt. Auch auf dieser Wand finde ich ein Graffiti.
Plötzlich verspüre ich Ärger. Wie kann man fremdes Eigentum ohne Erlaubnis einfach so bemalen? Ich stelle mir vor, es sei die frisch gestrichene Wand meines Hauses. Empörung schnellt in mir hoch. Die Zeichnung zerfällt mit einem Mal zum Gekritzel, zum Geschmiere, zu einem unverschämten Übergriff.
Wütend eile ich zum Raumausgang. Auf der Rückseite einer Wand stoße ich auf Kohlezeichnungen, Ölgemälde und Collagen. Ich atme auf. Endlich „richtige“ Kunst. Ich bleibe stehen. Das Bildnis einer Mutter vortrefflich in Malweise und Ausdruck. Mein Blick fällt auf den Namen des Künstlers: Harald Naegeli. Wie, dieser Graffitikerl kann „richtig“ malen?
Ich komme ins Grübeln. Wie kommt ein „richtiger“ Künstler dazu, Graffitis an Wände zu sprühen? Ich kann es mir nicht erklären. Im nächsten Augenblick fällt mir Picasso ein. Auch er abstrahierte später oft seine Bilder auf das Wesentliche. Wie viele Zeichnungen hat er gebraucht, um einen konkreten Stier auf das Wesentliche zu reduzieren, auf seine Kraft und seine geballte Energie? Ich weiß es nicht, aber es war ein langer, mühsamer Prozess,
Ähnliches spüre ich bei Naegeli. Plötzlich entsteht in mir wieder die Faszination, die ich bei seinem Graffiti zuerst gefühlt hatte. Ich kann wieder die Großartigkeit erkennen. Formen und Linien auf ein Minimum reduziert und diese Leichtigkeit der Bewegung! Sie drücken ganz klar die Botschaft des Bildes aus. Phänomenal!!
Ich fasse den Entschluss, mich mit dem Künstler Naegeli intensiver zu beschäftigen.

Ort: Stadtmuseum- Ausstellung H. Naegeli „Der Prozess“



Sonntag, 6. November 2016
Düsseldorfer Lesefest 2016
Im Rahmen des diesjährigen 8. Düsseldorfer Lesefests findet wieder eine Lesung unserer Autorengruppe „Schreibzeiten“ statt.

Thema: „Von damals und heute“. Spurensuche

Termin: 16.11.2016 18.30-20.00 Uhr

Ort: Café Decker, Geibelstr. 76 Ecke Grafenberger Allee, 40477 Düsseldorf

http://portal.leseban.de/programm?field_ref_veranstaltungstag_target_id=19



Mittwoch, 9. März 2016
Eigensinn
Von Rita Dietrich

Die Welt war für mich in Ordnung. Ich saß am Sonntagnachmittag auf unserer Terrasse, die Füße in einer Schüssel mit warmem Wasser, ein Buch auf den Knien, die Sonne schien, Frieden total.
Ein Ball flog übers Garagendach in unseren Garten. Ich kannte den Ball und wusste, was kommt. Es kam, in Gestalt von Franz, dem pubertierenden Nachbarsjungen. Er erschien auf dem Flachdach unserer Garage, sah mich und rief – natürlich ohne zu grüßen – wie immer: „Kann ich den Ball wiederhaben?“ Ich trocknete meine Füße ab, lief durch den halben Garten, holte den Ball und warf ihn Franz zu. Ein „DANKE“ gab’s von ihm nicht.
Er verschwand und ich hörte ihn nebenan den Ball auf die Platten knallen, in eintönigem Rhythmus. Das kann seinen Eltern nicht gefallen, dachte ich. Dann flog der Ball zigmal in die Höhe – und wie vermutet – erneut zu uns rüber. Es dauerte nicht lange, Franz erschien und sagte seinen obligatorischen Satz: „Kann ich den Ball wiederhaben?“ Widerwillig stand ich auf und durchquerte barfuß einige Beete, um den Ball zu suchen. Franz verzog keine Miene. Vielleicht dachte er „die werde ich so den Sonntagnachmittag beschäftigen“. – „Damit Du nicht in ein paar Minuten wieder auf eure und dann auf unsere Garage klettern musst, spielst Du am Besten auf dem Bolzplatz gegenüber“, riet ich ihm. Er reagierte in keiner Weise. Ich warf ihm den Ball zu und er verschwand.
Natürlich bolzte er im eigenen Garten weiter. Es kam wie es kommen musste. Der Ball flog herüber und Franz kam auch. Er stand auf der Kante unserer Garage und rief: „Kann ich den Ball wiederhaben?“ –„Ja“, sagte ich und blieb sitzen.
Stereotyp wiederholte er seine Frage dreimal. Ich antwortete stets mit „Ja“, machte aber weiter keine Anstalten. Nun geriet er in Verlegenheit. Runterspringen aus drei Meter Höhe in unseren Garten traute er sich nicht. Eine Leiter war nicht in der Nähe. Schellen an der Haustür war zwecklos. Er stand da und überlegte. Ich blieb weiter mit den Füßen in der Wanne und beachtete ihn nicht. Irgendwann kam er sich wohl dumm vor. Franz verschwand.
Nichts tat sich mehr; es herrschte Sonntagsruhe.
Den Ball warf ich Tage später rüber.
Franz verstand die Lektion.
Einige Zeit später grüßte er sogar – manchmal -!