Samstag, 18. April 2020
Mein CoronaTagebuch und einige Gedanken dazu
Schon im November 2019 hörten wir davon. Ein gefährliches Virus war aufgetaucht. Nichts Neues, wir hatten schon einige erlebt. SARS, Ebola um nur zwei zu nennen. Viele Tote hatte es gegeben in Afrika, schreckliche Bilder sahen wir in den Medien, zu Spenden wurde aufgerufen und Hilfsprogramme gestartet. Aber es war weit weg von uns. Jetzt war in China ein putzig aussehender, aber hochansteckender z.T. tödlich wirkender Krankheitserreger aufgetaucht. Wieder weit weg von uns in Europa. Niemand machte sich ernsthaft Sorgen.
Aber dieses Mal war es ganz anders. Die Berichte wurden von Tag zu Tag schlimmer. Sprunghaft stiegen die Zahlen von infizierten und gestorbenen Menschen.Rigorose Ausgangsbeschränkungen wurden eingeführt. Befürchtungen, dieses Virus könne sich über die ganze Welt ausbreiten, kamen auf. Aber noch waren viele der Ansicht, in Europa würden wir besser fertig damit. Unser Gesundheitssystem sei gut aufgestellt und schlimmer als eine Grippe könne es nicht sein. An unserem Stammtisch nach der Montags Abendgymastik tönten die Männer, bei uns könne man sich solche strengen Quarantäne Maßnahmen nicht leisten, sonst ginge die Wirtschaft pleite. Das wird nicht so kommen bei uns, waren sich die Männer einig. Wir Frauen schwiegen zunächst. Ich war mir da nicht so sicher und verlieh meinem mulmigen Gefühl Ausdruck. " Alles Blödsinn, durch Grippe sterben auch viele. Darüber redet keiner" war der allgemeine Konsens.
Schon Ende Januar sah alles ganz anders aus. Längst war die Rede davon, vom Händeschütteln abzusehen. Ein Lächeln genügt. Spätestestens als im Februar nach Karneval die ersten Coronafälle in Deutschland, Österreich, Italien und Spanien auftauchten, wurde es ernst. Immer öfter hörten und lasen wir von allgemeinen Ausgangsperren. Das Virus nahm Fahrt auf. Die Lage spitzte sich zu. Wie in China explodierten die Krankheits -und Todesfälle. Dies sei erst der Anfang, warnten die Wissenschaftler.
Am Montag,den 09. März
hörte ich auf eine Versammlung der Zahnärztekammer von besorgten Kollegen, es gäbe nicht genug sichere Mundschütze und Desifektionmittel. Die Depots könnten
nicht mehr liefern. Der Vertreter vom Gesundheitsamt rang die Hände. Er wüßte auch nicht..,aber er würde sich kümmern. Bitterer Hohn der anwesenden ZahnärztInnen schlug ihm entgegen. Der Sizungsleiter bat um Mäßigung.
" Möchtest Du wirklich immer noch in meiner Praxis die Vertretung übernehmen? " fragte meine Freundin Lena, der am Mittwoch eine Operation bevorstand." Ich könnte verstehen, wenn Du davon zurücktreten willst"
Ich hatte Ihr für drei Wochen zugesagt und mich sehr darauf gefreut. Es wäre eine schöne Abwechselung für mich als Rentnerin.
" Ja klar! So schlimm wird es wohl nicht werden. " lautete meine Antwort.
Am Mittwoch, den 11. März
rief meine Tochter Silke an : " Ich bin gerade in der Metro und kaufe ein paar Vorräte, brauchst du irgend etwas?" Merkwürdig, das hatte sie noch nie getan. Ich überlegte, "Vielleicht etwas Basmatireis " " Sonst nichts? " Sie klang erstaunt." Hast du genug Vorräte für die nächsten vierzehn Tage?" " Wozu, ich gehe morgen nach der Arbeit einkaufen" mir war das Ganze schleierhaft.
" Arbeiten? Hast du dir das gut überlegt? Du gehörst zur Hochrisikogruppe in deinem Alter."
"Wir arbeiten doch mit Mundschutz und Gummihandschuhen. Du musst Dir keine Sorgen machen" Ich verschwieg, dass diese kleinen dünnen Mundschütze den Beschuss von Coronaviren nur unzureichend abwehren könnten.
Nach diesem Telefonat war ich etwas unruhig. Es wäre nicht falsch, gleich noch zum Supermarkt zu fahren, um wenigstens ein paar Vorräte aufzustocken.
Seit wir Rentner sind kaufen wir alle paar Tage ein und haben kaum etwas an Lebensmitteln im Haus.
Im Supermarkt wunderte ich mich über die leeren Nudelregale. Beim Reis sah es nicht anders aus. Anscheinend waren die Leute in Panik geraten. Bestimmt ist morgen alles wieder da, dachte ich. Vorsichtshalber nahm ich das letzte, etwas eingedellte Packet Makkaroni mit. Tomaten in Dosen gab es nur noch drei und Kokosmilch gar nicht. Im Geiste ging ich durch, was ich noch als Vorrat gebrauchen könnte. Viele Konserven gab es nicht mehr, aber , mit dem was ich zuhause hatte, würde es ein paar Tage vielleicht sogar zwei Wochen reichen.
Am 12. März
begann mein erster Arbeitstag. Das mir gut vertraute Team von Helferinnen begrüßte mich sehr herzlich mit Abstand. Ich freute mich auf die Arbeit und der Tag verlief reibungslos.
In der Mittagspause hatte ich mich mit meinem Mann verabredet. "Bei Aldi gibt es kein Klopapier mehr" war seine Begrüßung. Das gab mir zu denken. Im Haus, in dem sich die Zahnarztpraxis befindet, gibt es einen Supermarkt. Sollten wir lieber sofort schauen, ob es dort Toilettenpapier gab? " Laß uns erst einen Kaffee trinken ", meinte Ingo" Morgen gibt es bestimmt wieder alles." Aber ich hatte keine Ruhe und so gingen wir sofort hinein und kauften eine, von den drei noch vorhanden Großpackungen und noch ein wenig, länger haltendes Gemüse. Ich hatte mich nicht anstecken lassen wollen von der Panik, aber jetzt fühlte ich mich gezwungen so zu reagieren. Das ärgerte mich und in mir wuchs das Gefühl des Ausgeliefertsein und der Hilflosigkeit.
Am Freitag, den 13. März
kamen wir, ohne es zu wissen, zum vorerst letzten Mal zu Erny, um zu schreiben. Sie teilte uns das per Email am Montag darauf mit, zusammen mit einer Geschichte zum Weiterschreiben und einigen Schreibanregungen.
Am Sonntag, den 15. März
eröffnete uns unser Pfarrer während des Gottesdienstes, dass vorläufig bis Ostern alle Kirchen geschlossen seien. Er wolle uns jeden Tag einen Bibelvers per Mail oder WhatsApp schicken, den er mit Kreide auf die Straßen rund um die Gemeinde schriebe und fotografiere.
Aus Angst vor Ansteckung waren viele der Älteren diesen Sonntag schon nicht gekommen. Die Kirche war noch leerer als sonst.
Am Montag, den 16.März
endete mein zweiter Arbeitstag bereits Mittags. Meine Freundin kam, noch geschwächt von der Operation, in die Praxis. Sie bat mich, die Arbeit nicht fortzusetzen. Sie könne es nicht verantworten, mich der Gefahr einer Ansteckung auszusetzen. Falls das geschähe, würde sie ihres Lebens nicht mehr froh. Da sie selbst noch nicht wieder arbeiten könne, habe sie alles gut organisiert, sowohl für ihre Mitarbeiterinnen als auch für etwaige Notfallpatienten.
Von einem auf den anderen Moment fühlte ich mich zehn Jahre älter. Hochrisikogruppe! Das hatte Silke auch erwähnt. So fühlte ich mich gar nicht.
Zum Trost ging ich mit Ingo einen Cappuccino trinken. Die Eisdiele war fast leer. Der Chef, der uns sonst immer mit " Bis morgen" verabschiedete, war sichtlich gedrückter Stimmung und sehr schweigsam.
Abends fand keine Gymnastikgruppe statt und auch der Stammtisch entfiel.
Am Dienstag, den 17.März
rief Silke wieder an. Sie war erleichtert, dass ich nicht mehr arbeitete. Wir sollten bitte nicht mehr einkaufen, sie mache das gerne für uns. "Ich bringe es Euch vorbei, kontaktlos versteht sich"
" Was soll das? Die können uns doch nicht einsperren. Das ist totaler Blödsinn" ereiferte sich Ingo
" Spazieren gehen und Radfahren könnt Ihr noch" insistierte Silke " Dabei ist die Ansteckungsgefahr gering"
Ja mir war klar, dass es darum ging die Zahl der Ansteckungen in Schach zu halten. Italien, Spanien und Österreich kämpften bereits mit esponentiell steigender Zahl von Infizierten und Gestorbenen. Es gab zu wenig Betten, zuwenig Beatmungsgeräte, zu wenig ÄrztInnen, zu wenig PflegerInnen zu wenig Sicherheitsausrüstungen, zuwenig von allem. Auch wenn in Deutschland behauptet wurde, bei uns sei alles besser, glaubte ich das nicht. Also stimmte ich Silke schweren Herzens zu. Sie hatte genug zu tun mit ihren drei Kindern, die nun nicht mehr zur Schule gehen konnten, weil auch diese geschlossen hatten.
Mein Malen Dienstag Abends wurde ebenfalls bis auf weiteres ausfallen und das Fitnessstudio war geschlossen.
So geht es immer weiter mit den Einschränkungen. Die Tage, bar jeglicher Struktur, plätschern dahin und vergehen. Kein Sport, kein Malen, kein Schreiben - dafür morgens spät aufstehen, Mails checken, WhatsApps lesen, mit Freunden chatten, anrufen, Witze über Toilettenpapier, Trump und Konsorten, lustige oder besinnliche Videos austauschen, Zeitung lesen, Radio hören, Mittagessen zubereiten, sich Sorgen machen um unsere Kinder und Enkelkinder, um die Umwelt, um die vielen übermüdeten ÄrztInnen, PflegerInnen, VerkäuferInnen und sonstige systemrelevanten Personen, über die vielen, die jetzt kein Geld haben.
Die Wohnung putzen, Spiele spielen und und und.
Ein schlechtes Gewissen haben, weil es uns doch gut geht und wir wenig tun können, um andere zu entlasten.

In den Nachrichten hören wir seit neuestem von Lockerungen hier und da und dann und wann. Aber nichts ist sicher, alles bleibt vage. Dort wo genauer formuliert wird, regt sich sofort Protest gegen vermeintliche und echte Ungerechtigkeiten. Wie wird es sein, wieder zur Normalität zur zu kehren? Wird es jemals wieder sein, wie es vor Corona war? Gerade erholt sich die Natur. Die Luft ist reiner, das Wasser ist klarer, es gibt wieder Schildkröten an den ehemaligen Touristenstränden von Thailand. Wäre schön, wenn es in dieser Richtung voran ginge.

Vergleiche mit früheren Seuchen wie Pest und Cholera drängen sich auf. Als Strafe Gottes wurden sie betrachtet, weil die Menschen nicht gottesfürchtig genug gewesen wären.
Heute heißt es, das Universum rächt sich, die Erde setzt sich zur Wehr, gegen den Mißbrauch der Natur, gegen menschliches Machtstreben und Gier.
Damals schworen die von der Pest und Cholera verschont gebliebenen Besserung, nähme Gott diese Strafe von ihnen. Abgesehen davon, dass Pest und Cholera nie eine Strafe Gottes waren, sondern durch mangelnde Hygiene und Unwissen gefördert wurden, ein wenig Demut täte uns gut. Wir sind eben nicht Herrscher und Beherrscher des Universums, sondern es ist uns aufgetragen, die Schöpfung zu bewahren. Dazu gehören Menschlichkeit und Achtung für alles Leben, genauso wie Wissenschaft und Forschung zum Wohle der Umwelt und der Menschheit. Mein Traum ist, dass wir aus dieser Krise lernen.