Sonntag, 4. August 2019
Resonanz
Da ist ein Bild. Ein Bild mit einem Soldaten mit Nachtsichtgerät. Ich betrachte es und antworte mit einem Text:

Ich suche den Feind. Mit meinem Nachtsichtgerät suche ich den Feind, denn er schleicht sich an, sobald es dunkelt. Er kann von überall kommen, sich tiefe Gräben graben, bis in meine Träume. Ich versuche, ihn in Schach zu halten. Ich habe ein Gewehr, aber das dient mir nicht. Wo sollte ich hin schießen? Mitten ins Schwarze? Der Feind kennt Schleichwege mit guter Deckung. Da treffe ich ihn nicht.

Ich treffe ihn in meinem Kopf, plötzlich ist er da, springt mich an aus einer dunklen Ecke, krallt sich fest, will mich haben. Mein Gewehr nützt da nichts.

Ich lege Gewehr und Nachtsichtgerät zur Seite und fasse ihn, befühle ihn, schmecke ihn, rieche ihn. "Du wirst mich schon noch kennenlernen", flüstert er mir zu und ich halte ihn im Arm und höre seine Geschichte.

Ich höre seine Geschichte, die auch meine ist. Und als er fertig ist, legt er seinen kleinen Kopf in meinen Schoß. Ich halte seine kleine Hand und küsse seine kleine Stirn. Nun liegt er da und ich passe auf, das er nicht fällt, nicht ins Bodenlose fällt und fällt und vergessen wird.

Erny Hildebrand



Schreiben in der Frauenberatungsstelle
In der Frauenberatungsstelle sind wir sehr nett und mit vielen Informationen empfangen worden. Im Anschluss entstanden berührende Texte, von denen einige hier in der Rubrik "Schreiben an ungewöhnlichen Orten" zu lesen sind.